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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles
Autoren: Jaume Sanllorente
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wo aus sie dann nach Goa, Kerala oder in noch weiter südlich gelegene Landesteile weiterflogen.
    Bombay erschütterte mich jeden Tag aufs Neue. Häufig fühlte ich angesichts der Herzlosigkeit und des Elends eine Mischung aus Angst und Schmerz, die gepaart war mit einem merkwürdigen Verantwortungsbewusstsein, wie ich es schon in meiner ersten Nacht in Delhi wahrgenommen hatte. Oft fühlte ich mich allerdings auch überfordert.
    Aber die Stadt schenkte mir auch wundervolle Erlebnisse. Ich erinnere mich an eine auf den ersten Blick belanglose Episode, die ich wohl mein ganzes
Leben nicht vergessen werde. Es war gegen Mittag, als das Taxi, in dem ich saß, an einer Kreuzung des Marine Drive anhielt, diese Uferpromenade wird auch »Queen’s Necklace« (Halskette der Königin) genannt - weil nachts die Lichter in den Fenstern der Gebäude, die die Bucht säumen, wie ein Halsband aus funkelnden Diamanten aussehen. Auf Höhe des Jazz by the Bay , einem der beliebtesten Lokale mit Live-Musik, trat eine alte Frau an das Taxifenster und lächelte mich hypnotisch an. In ihren Augen lag vollkommene Güte, und das Alter - doch bestimmt ebenso Einsamkeit und Schmerz - hatten in ihre sehr dunkle Haut tiefe Falten gegraben. Sie verkaufte Blumen und hatte einen Bund frischer, dunkelroter Rosen im Arm.
    »Kaufen Sie mir eine Blume ab, seien Sie so nett«, bat sie mich freundlich, »Ihre Verlobte wird sich freuen.«
    »Ich habe gar keine Verlobte, gute Frau.«
    »Dann will ich Ihre Verlobte sein«, sagte sie sanft und lächelte weiterhin.
    Die Zärtlichkeit dieser Frau durchflutete mich, ich kaufte ihr den ganzen Bund ab und gab ihr so viel Geld dafür, wie für mehrere Sträuße. Der Ausdruck von Glück auf ihrem Gesicht war ein wundervolles Geschenk, und ich war erstaunt über meine eigene Zufriedenheit und darüber, wie viel Glück ich selbst empfand, das Lächeln dieser alten Frau zu sehen und ihre Freude.

    Das war derjenige Moment, in dem ich lernte, wie viel Lebensfreude man durchs Geben erfahren kann. Durchs Geben, ohne etwas im Gegenzug zu erwarten. Zu schenken und dabei nur an den Beschenkten zu denken. Den Nächsten glücklich zu machen ist das wahre Geheimnis des Glücklichseins. Sich vollkommen vom Eigeninteresse zu lösen und ganz auf den anderen zu konzentrieren, darauf, was ihn glücklich machen könnte. Das ist die Formel, die unserem Leben einen Sinn gibt. Durch sie wird es möglich, dem Takt der wahren Menschlichkeit und des wahren Lebens zu folgen. Wir alle sind Instrumente der Liebe. Und Instrumente haben erst dann einen Wert, wenn es ein Publikum gibt, das auf ihren Klang hört.
    Ständig jagen wir unserem Glück hinterher und hoffen, glücklicher zu werden, wenn wir dies oder das besitzen können. Aber das ist der falsche Weg. Das Glück in all seinen Formen und Nuancen lässt sich nur erfahren, wenn wir uns ausschließlich den anderen widmen und die eigenen Interessen und Ambitionen vergessen. Wir müssen sein wie eine Glasscheibe, durch die man hindurchsehen kann. Genau wie der Blick, der durch das Glas dringt und dahinter neue und herrliche Horizonte entdeckt, müssen wir unsere egoistischen Ziele überwinden. Dem Glück nachzujagen bedeutet, die Scheibe niemals zu durchdringen.
    Wem nützt schon ein Hemd, das immer auf dem Bügel hängt? Oder ein Telefon, wenn am anderen
Ende der Leitung niemand mit einem spricht? So wie ein Hemd dazu da ist, jemanden zu kleiden, sind wir dazu da, das Herz und die Seele unserer Nächsten mit Geschenken und Fröhlichkeit zu umgeben und dadurch die Liebe und die Freude des Lebens zu vermitteln.
    Die Ampel (eine der wenigen, die in dieser Stadt überhaupt beachtet werden) schaltete auf Grün, das Taxi fuhr an. Ich versuchte, der Frau die Rosen zurückzugeben (sie waren ja für meine Verlobte und das war sie), doch deren Blüten wirbelten plötzlich durchs offene Autofenster, durch die heiße, staubige Luft und umgaben die alte Frau mit einer roten Wolke. Was ich zurückließ, war ein Bild von unbezahlbarer Schönheit: Die Frau, strahlend vor Glück, inmitten tanzender roter Blütenblätter.
    Ich verspürte tiefe Dankbarkeit, dass ich dieses kostbare Bild hatte bewundern dürfen, und dass die Frau, wenigstens an diesem Tag, ein paar Rupien verdient hatte. Und sich abends ruhig, mit vollem Bauch und der Erinnerung an einen zauberhaften Augenblick auf ihrer Schlafstatt aus Karton betten konnte, auf der sie möglicherweise sonst ihre Nächte eher in Unruhe verbrachte.
    Doch das
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