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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles
Autoren: Jaume Sanllorente
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reichte mir nicht. Warum sollte ich mich freuen, wenn sie diese Nacht genug zu essen hätte? An ihren Lebensbedingungen änderte sich grundsätzlich ja nichts.

4
    Pooja

    In einer zivilisierten Gesellschaft darf es keinen
Platz für Armut geben. Die Armut gehört ins
Museum. Und dort wird sie letztlich ankommen.
Wenn Schüler dann einen Ausflug in die Museen
der Armut unternehmen, werden sie mit Grauen
das Leid und die Demütigung betrachten, das
die Menschen ertragen mussten. Sie werden
ihren Vorfahren vorwerfen, diese unmenschlichen
Verhältnisse toleriert und zugelassen zu haben,
dazu auch noch so lange, dass ein großer
Teil der Bevölkerung bis in die Anfänge des
21. Jahrhunderts darunter zu leiden hatte.
    MUHAMMAD YUNUS

    Die Tage vergingen wie im Flug, und ich entdeckte immer neue Seiten an Bombay. Mittlerweile hatte ich mich an den Tumult gewöhnt. An den wahnsinnigen Rhythmus der Stadt, daran, köstliche vada pavs zu verspeisen, die aus einer Kartoffelmasse mit Kräutern bestehen, in einem Fladenbrot serviert werden, und die man auch »Indiens Hamburger« nennt.

    Obwohl ich mein Essen genoss, verletzte die schreckliche Armut, die ich in allen Ecken Bombays zu sehen bekam, meine Seele; ihr Anblick begann mich innerlich zu zerfressen.
    Ich konnte mich nicht an die Bilder von halbnackten, bettelnden Kindern mit schorfverkrusteten und schwärenden Wunden gewöhnen, Kindern, die zwischen Luxushotels und Limousinen zu Hunderten im Elend lebten. Sie schienen mir kostbare Blüten zu sein, die ein unerbittliches Schicksal zwang, auf ewig als Unkraut im Garten des Lebens zu gelten.
    Eines Abends stieg ich nach einem Besuch im Mani Bhavan, dem Haus, in dem Gandhi sich während seiner Zeit in Bombay, also zwischen 1917 und 1934, aufhielt, in ein Taxi. Wir fuhren los, aber der Taxifahrer war vom Weg abgekommen (möglicherweise gab er es nur vor, um einen in sich versunkenen Touristen auszunutzen) und geriet in eine Gegend, in der sich eine Baracke an die nächste reihte. In jeder Straße, durch die wir fuhren, schloss sich links wie rechts ein Wellblechdach ans andere, Wellblechdächer - so weit das Auge reichte.
    Wir überquerten eine Brücke über das Meer des Elends, in das ich, wenn auch noch widerstrebend, doch einzutauchen bereit war, obwohl ich ahnte, dass die Realität, die sich in diesen Meerestiefen verbarg, nicht gerade angenehm war.

    Bald bräche die Nacht herein, und ich würde es nicht mehr schaffen, wie geplant das örtliche Museum in der Nähe des Hotels zu besuchen, weil es bestimmt schon geschlossen hatte. Und als hätte das Schicksal meine Wünsche erraten, blieb das Taxi bei diesem meinem Gedanken im dichten Verkehr stecken.
    »Wo sind wir?«, fragte ich den Taxifahrer.
    »In Matunga, Sir. Genauer in Dharavi, einem Slumviertel.«
    Ergriffen von einer unbekannten Kraft, sagte ich dem Fahrer, er solle das Taxameter anhalten und mich aussteigen lassen. Ich lief die Straße bis zu ihrem Ende hinunter und bog auf einen schmalen Weg ab, der ans Ufer des bleigrauen Ozeans führte.
    Ich bemerkte ein Mädchen mit einem sehr schönen Gesicht, das auf einem kleinen Hügel ganz in der Nähe der Straße saß und mich lächelnd beobachtete. Als ich auf das Kind zuging, lief es nicht weg und ignorierte mich auch nicht, sondern betrachtete mich weiter und lächelte mich noch offener an.
    »Wie heißt du?«, fragte ich auf Englisch.
    »Mein Name ist Pooja«, antwortete sie ebenfalls auf Englisch.
    »Du kannst ja Englisch, das finde ich toll!«
    »Ich brauche die Sprache bei meiner Arbeit.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch und drehte den Kopf zur Seite. Diese Geste machte mich darauf
aufmerksam, dass hier etliche Kinder Autofahrer anbettelten, die als Opfer des überbordenden Fahrzeugaufkommens im Schritttempo vorwärts rollten. Da verstand ich, was Poojas Arbeit war, und wunderte mich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie darüber sprach, ohne mich um ein Almosen zu bitten.
    »Wo lebst du denn, Pooja?«
    »Nicht weit von hier. Mit meinem Bruder und meinen Eltern. Möchtest du mein Zuhause sehen? Komm, ich zeige es dir.«
    Ich ergriff die Hand des Mädchens und ging mit, ohne zu zögern.
    Pooja führte mich in eine kaum einen Meter breite Gasse mitten in das Elendsviertel hinein. Ihre Schritte waren unbeschwert. Sie sah nicht nach vorn, sondern blieb mir zugewendet, während sie die Adern auf meinem Handrücken besah und versuchte, mein Gehtempo zu halten. Sie war schmutzig und ungekämmt und grinste mich breit
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