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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles
Autoren: Jaume Sanllorente
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Monat zu verbringen. Und wenn es mir dort nicht gefiele? Wenn ich es nach
einer Woche satthätte und schleunigst wieder nach Hause wollte?
    Wir landeten und die Flugzeugtüren öffneten sich. Ich aber blieb sitzen, wartete, dass die allgemeine Hektik abebbte, die doch am Ende jedes Flugs unweigerlich ausbricht. Als alle Passagiere ausgestiegen waren, schnappte ich mir mein Handgepäck und trat auf die Gangway, während mir ein bestimmter Satz durch den Kopf ging: Wie komme ich dazu, in ein Land zu reisen, für das ich mich noch nicht mal interessiere?
    Als ich durch die Flugzeugtür ins Freie trat, schlug mir warme, schwere Luft entgegen. Ein stechender Geruch stieg mir in die Nase, ein Geruch, der mich die ganze Reise über begleiten sollte.
    Wie schlecht dieses Land roch! Und wie unerträglich heiß es hier war!
    Nach einigem Hin und Her kam ich endlich an mein Gepäck und ein Kleinbus brachte mich zum Hotel. Es lag in der Nähe des Connaught Place, einem der belebtesten Plätze der Stadt, gewissermaßen dem Dreh- und Angelpunkt Neu-Delhis, mit seinen zahlreichen Läden, Hotels und Restaurants.
    Es war gegen acht Uhr abends, schon dunkel. Auf den Straßen herrschte reger Betrieb. Überall Lichter, kleine Läden, vor allem aber: ein unsägliches Gewimmel. Noch nie im Leben hatte ich dermaßen viele Menschen auf einem Haufen gesehen!

    Im Hotel angelangt, erledigte ich zunächst die Anmeldeformalitäten, ging dann aber gleich hinaus, um mich ein wenig umzusehen.
    Was ich sah, gefiel mir überhaupt nicht! Wo ich hintrat, prangten rote Flecken - später erfuhr ich, dass es sich um den ausgespuckten Saft des paan handelt, das viele Inder kauen, eine Angewohnheit, die dem Konsum von Tabak im Westen vergleichbar ist. Und das Gedränge. Man konnte kaum die Füße voreinander setzen, so dicht war es auf der Straße.
    Erschüttert war ich auch über die Vielzahl herrenloser, vollkommen ausgemergelter Hunde. Unter ihrem dünnen, struppigen Fell zeichneten sich die Knochen ab. Manche hatten so tiefe Wunden, dass man rohes Fleisch sah. Diese armen Kreaturen hinkten und sahen einen mit dem Ausdruck tiefer Traurigkeit an.
    Ich bin ein großer Tierfreund und -schützer und war immens betroffen. Später lernte ich, dass die üble Situation der Hunde mit dem Hinduismus zusammenhängt: Man glaubt in Indien nämlich, Diebe oder Menschen mit einem schlechten Lebenswandel würden als Hunde wiedergeboren.
    Fast bei jedem Schritt stolperte ich über Obdachlose und Bettler, die auf der Straße schliefen oder einen verzweifelt anblickten. Überall trieben sich Kinder herum, Hunderte von halbnackten Kindern, die mit Abfällen spielten - tote Ratten waren wohl auch darunter. Und auf einmal, mitten in der Stadt,
eine Kuh, die wie selbstverständlich auf der Straße spazierte, ohne dass sich jemand darüber wunderte. Wo ich auch hinschaute, aus jedem Winkel sprang mich das Elend an. Und ich litt. Später habe ich mich immer wieder gefragt, warum ich mir all das Elend so sehr zu Herzen nahm. Es hätte mich auch abstoßen können. Mir ist bis heute nicht klar, warum ich derart extrem reagierte.
    Meine schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen. Wie sollte ich bloß einen ganzen Monat hier aushalten? Ich wollte fort aus dieser schrecklichen Stadt. Nach Möglichkeit gleich.
    In manchen Artikeln über mich wurde behauptet, ich hätte mich sofort in Indien verliebt, es sei sozusagen Liebe auf den ersten Blick gewesen. Aber das ist nicht wahr, das Gegenteil stimmt. Die erste Begegnung mit Indien hat mich zutiefst verstört. Wie hätte mich ein Ort, an dem es so viel Elend gab, faszinieren können?
    In der Nacht tat ich kein Auge zu. Besonders die Bilder von den obdachlosen, bettelnden Kindern gingen mir nicht mehr aus dem Sinn. Sollte dies wirklich ein und dieselbe Welt sein - diese hier und die, in der ich bisher gelebt hatte? Wie konnte es heutzutage solche Verhältnisse geben? Als wäre man von einem Moment auf den anderen im Mittelalter gelandet!
    Inzwischen erkläre ich mir die tiefe Verstörung dieser ersten Nacht mit einer Wandlung, die sich damals in mir zu vollziehen begann. Ich vergleiche
es gern mit einem Puzzlespiel. Mein inneres Puzzle, man könnte es auch die Seele nennen, war in dem Moment des Schreckens in seine Einzelteile auseinander gefallen. Eine Leere entstand, in der es das Puzzle neu zusammenzusetzen galt. Stimmte also die Behauptung, dass man in Indien sein Wertesystem überdenken musste?
    Ich blieb. Am nächsten
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