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Bombay Smiles

Bombay Smiles

Titel: Bombay Smiles
Autoren: Jaume Sanllorente
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Tag brachen wir auf nach Jaipur, einer wunderschönen Stadt - abgesehen von dem Dunst, der über allem hing und bei dem es sich um den alltäglichen Smog handelte. Ab diesem Augenblick begann ich jede Sekunde der Reise zu genießen.
    Ich fing an, von Indien zu lernen. Die beklemmenden Gefühle der ersten Nacht waren weg. Ich kaufte mir ein paar Bücher, um mich mit dem Hinduismus vertraut zu machen, mit dem Kastensystem etwa. Ich wollte Indien und seine Menschen unbedingt verstehen.
    Ich war begeistert von Mandawa, einem weiteren Städtchen im Bundesstaat Rajasthan. Dort übernachtete ich in einem alten Maharadschapalast, der aus wirtschaftlichen Gründen zu einem Hotel umfunktioniert worden war. Vom höchsten Turm des Gebäudes aus blickte man auf endlose Sandwüsten, nur hier und da, im Meer aus Sand, waren leuchtende Farbtupfer prächtiger Saris zu sehen.
    Dann kam Agra, wo ich stundenlang in völliger Versunkenheit die außergewöhnliche Schönheit
des Taj Mahal bestaunte, des größten Baumonuments, das je aus Liebe errichtet wurde. Das beeindruckende Mogulbauwerk, dessen Räumlichkeiten ich morgens betrat und erst in der Abenddämmerung wieder verließ, wurde im Auftrag von Sha Jahan als Grabmal für dessen zweite Ehefrau Mumtaz Mahal errichtet, die 1631 bei der Geburt ihres letzten Kindes starb. Man schätzt, dass über 18 000 Menschen an der Errichtung des Taj Mahal beteiligt waren. Einigen von ihnen sollen, nachdem das Monument fertiggestellt war, die Arme abgeschlagen worden sein. Man glaubte damit die Nachahmung eines derlei perfekten Bauwerks verhindern zu können.
    »Wir alle bauen unser Leben lang, jeder auf seine Weise, an unserem eigenen Taj Mahal«, sagte der Reiseführer. »Wissen Sie schon, wie Ihr Taj Mahal aussehen soll?«
    »Nein, noch nicht«, erwiderte ich, »aber ich bin sicher, dass die Liebe beim Bau wichtig sein wird.«
    Die Frage hatte mich nachdenklich gemacht. Meine Antwort erst recht. Wie war ich bloß darauf gekommen? Dachte ich das wirklich? Wie sollte denn mein Taj Mahal werden? Hatte ich schon etwas geschaffen? Hatte ich auch nur ein Fundament angelegt, auf dem ich mein Leben aufrichten konnte? Gründeten die Beziehungen zu meiner Familie, meinen Freunden, meinen Liebsten, auf einer ebenso soliden Konstruktion wie dieses Bauwerk?

    Am meisten allerdings beeindruckte mich Varanasi, eine weitere Station meiner Reise. Dieser heilige Ort, auch bekannt als »Stadt des Lichts«, gilt als die Heimat der Todesgöttin Shiva. Man erzählt, der Ganges, der durch die gesamte Stadt fließt, entströme dem Haar dieser Gottheit.
    Ich genoss es, durch die Gassen in der Nähe der Ghats zu schlendern, der alten, im 18. Jahrhundert erbauten Steintreppen. Die Ghats führen bis zum Fluss hinab, wo Tausende Pilger ihre Gebete verrichten. Einer der großartigsten Augenblicke der gesamten Tour war die Fahrt mit einem kleinen Boot auf dem Ganges - frühmorgens, bei Sonnenaufgang noch. Es war, als könne man den riesigen, orangeroten Ball mit der Hand greifen. Überwältigt dachte ich: Was für ein unbeschreibliches Glück, dass ich das hier erleben darf!
    Tief berührt war ich, als ich ganze Straßen voller sogenannter »Sterbehäuser« sah; kleiner, zur Straße hin offener Höhlen oder Lehmhütten, die die Angehörigen der Sterbenden mieteten, damit diese dort ihren letzten Atemzug tun konnten.
    Die Hindus glauben, dass das irdische Leben in Zyklen verläuft. Dass man immer wieder stirbt und immer wieder neu geboren wird. Diesen Kreislauf nennen sie Samsara. Über die Form der späteren Reinkarnation entscheidet das Karma, also die Qualität des Handelns eines Menschen in seinem früheren Leben. Den Dharma, die auferlegte Aufgabe zu
erfüllen, garantiert, dass das nächste Leben besser wird. Wer sich nicht richtig verhält, wird in einer niederen Kaste wiedergeboren - möglicherweise gar als Hund.
    In der Nähe dieser Sterbehäuser lernte ich Devi kennen, eine alte Frau, die mit ihren beiden Söhnen gekommen war, um am Ganges zu sterben. Ihre Augen waren trüb und nahezu geschlossen - doch wie viel Liebe strahlte der Blick dieser Frau aus! Ich musste an ein Zitat denken, das mir immer schon gefallen hatte:
    Zeit vergeht zu langsam für jene, die warten,
zu schnell für jene, die bangen,
wird lang für jene, die trauern,
wird kurz für jene, die fröhlich sind;
aber für jene, die lieben, ist Zeit Ewigkeit.
    »Zeit ist Ewigkeit«, hätte wohl auch Devi sagen können, während sie langsam ihr Leben
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