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Boccaccio

Boccaccio

Titel: Boccaccio
Autoren: Hermann Hesse
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Wenn du den Weibern
    
    nachläufst, so kann der Frater nicht bei ihnen ankom-
    men. Wenn du nicht geduldig bist und Beleidigungen
    vergibst, so darf der Frater es nicht wagen, dir ins Haus
    zu dringen und deine Familie zu beschmutzen. Ich habe
    in meinem Leben Tausende von ihnen gesehen, welche
    nicht allein weltliche Frauen, sondern auch solche aus
    den Klöstern liebten, verführten und besuchten, und
    das waren jene, die den meisten Lärm auf den Kanzeln
    machten.«
    Von den allerhöchsten Kirchenfürsten aber handelt
    die von Neiphile erzählte zweite Novelle des ersten Ta-
    ges. Nämlich einem reichen und redlichen jüdischen
    Kaufmann zu Paris, namens Abraham, liegt sein Her-
    zensfreund dringlich an, er möchte doch die Taufe
    nehmen und Christ werden, um nicht der ewigen Se-
    ligkeit dereinst ledig zu bleiben. Der Jude, als ein sehr
    verständiger Mann, sieht dessen Richtigkeit wohl ein
    und beschließt, nach Rom zu reisen und daselbst des
    Papstes und der Kardinäle Art und Sitten wohl zu be-
    obachten, ob sie wirklich als die Hüter und Verkündi-
    ger eines so erhabenen Glaubens zu schätzen seien.
    Vergebens sucht der erschrockene Freund, welcher all-
    zuwohl weiß, wie es in Rom aussieht und zugeht, ihn
    abzuhalten. Abraham besteht auf seinem Entschluß
    und zieht nach Rom, und was er dort zu sehen be-
    kommt, ist Laster über Laster, Habgier, Herrschsucht,
    Neid, Wollust, Unflat und derlei mehr. Allein der kluge
    Jude, da er endlich wieder nach Paris heimkehrte, läßt
    sich zum unendlichen Erstaunen seines Freundes trotz-
    
    dem taufen. Denn, sagt er, wenn der Papst und alle
    seine Oberhirten und Unterhirten seit langer Zeit alle
    statt Gotte dem Teufel dienen und sich Mühe geben,
    Christi Lehre in den Kot zu treten, diese aber dennoch
    besteht und lebt und sich ausbreitet, so muß sie wahr-
    lich von Gott sein, sonst wäre sie längst ertötet und von
    der Erde verschwunden.
    Ich weiß nicht, ob diese Anekdote jemals dem Dok-
    tor Luther zu seiner Zeit bekannt worden ist. Wenn er
    sie aber gehört hat, so weiß ich gewiß, daß er seine
    große Lust daran gehabt hat.
    
    Zum Schönsten und Holdesten, was im Dekameron ,
    ja überhaupt bei irgendeinem berühmten Dichter
    zu finden ist, zählen jene Novellen, in welchen die
    Schicksale tragischer Liebe, und jene, in welchen Taten
    des Edelsinns und der Seelengröße berichtet werden.
    Schon Petrarca, welcher im übrigen kein großer Be-
    wunderer des Dekameron war, hat an einer derselben (es
    ist die letzte Novelle, die zehnte des zehnten Tages) ein
    solches Gefallen gefunden, daß er sie nicht bloß jeder-
    mann und immer wieder erzählte, sondern sie auch,
    zum Zwecke weiterer Verbreitung, mit eigener Mühe
    ins Lateinische übersetzt hat. Nicht minder schön und
    rührend ist jene schon erwähnte Erzählung vom Basili-
    kumtopfe, handelnd von der Liebe und dem Tode
    zweier unschuldiger junger Leute, welche nicht nur je-
    nes Bild des Malers Millais, sondern auch eine schöne
    Dichtung, verfaßt von dem Engländer Keats, veranlaßt
    hat.
    Vielleicht das Zarteste und Edelste aber, das man
    sich nur ersinnen kann, ist die Geschichte, welche am
    fünen Tage Fiammetta erzählt, von dem jungen Edel-
    manne Federigo Alberighi und seinem Falken. Es
    würde mir eine Sünde scheinen, diese Novelle anders
    als mit des Boccaccio eigenen Worten wiederzuerzäh-
    len, wozu hier nicht der Ort ist. Diese Erzählung stellt,
    ohne ein einziges überflüssiges Wort, eine edle und
    treue Liebe dar, welcher kein Opfer je zu groß ist, und
    ist mit einer so feinen, wehmütigen Einfalt erzählt, daß
    es schwerlich sonst je einem Dichter gelungen ist, mit
    

    Griseldis als Dienerin
    

    Der Edelmann und sein Falke
    so bescheidenen Worten das Herz des Zuhörers so
    mächtig zu ergreifen.
    Ungemein lieblich erscheint mir auch der kleine
    Traum eines Liebenden, welchen in der sechsten No-
    velle des vierten Tages Gabriotto träumte. Ihm war im
    Traum, als wandle er mit seiner Geliebten irgendwo im
    Freien umher, und diese friedvolle Lust erschien ihm in
    einem merkwürdigen Bilde, wie er erzählt: »Es kam
    mir vor, als befände ich mich in einem schönen und
    reizenden Walde, in welchem ich jagte und eine so
    schöne, liebliche Hindin gefangen hatte, wie man nur
    je eine gesehen hat; es schien mir, als wäre sie weißer
    wie Schnee und mir in kurzer Zeit so zahm geworden,
    daß sie sich gar nicht von mir trennte. Dagegen kam es
    mir vor, als
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