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Boccaccio

Boccaccio

Titel: Boccaccio
Autoren: Hermann Hesse
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Beschaffenheit.
    Obwohl ich glaube, daß gerade diese neununddrei-
    ßig Novellen zu den schönsten und ergötzlichsten ge-
    hören, will ich doch den Inhalt derselben nicht zu
    verteidigen unternehmen. Es ist eine Ordnung der
    Natur, daß die Menschen gleich anderen lebenden
    Geschöpfen ihre Art nicht (wie manche Pflanzen tun)
    sich durch Knollen fortsetzen, sondern in zwei Ge-
    schlechter zerfallen, woraus beiden Teilen ebensowohl
    viel Vergnügen als häufiger Kummer entsteht. Und
    es ist eine andere Ordnung (diese jedoch nicht von
    der Natur), daß die meisten wohlgesitteten Men-
    
    schen diese natürlichen Dinge zwar billigen und ih-
    ren Gesetzen folgen, aber durchaus nicht davon gespro-
    chen wissen wollen. Und auch noch viele, welche
    mündlich nicht selten davon zu sprechen und zu hören
    pflegen, sehen es doch in gedruckten Büchern nicht
    gerne.
    Unser Novellenbuch hat das Bestreben und die Ei-
    genscha, ein Spiegel des wirklichen Lebens zu sein.
    Wie ich für sicher glaube, hat wohl an der Häle aller
    wichtigen menschlichen Begebnisse, Leidenschaen,
    Schicksale, Freuden und Leiden das Verhältnis der Ge-
    schlechter großen Anteil. Wenn nun das Geschichten-
    buch des Boccaccio nur zu einem Dritteil von solchen
    Stoffen handelt, ist es also doch immer noch um ein
    Erkleckliches anständiger und schamhaer als das Le-
    ben selber. Außerdem sind diese Stoffe von den Erzäh-
    lern teils so zart und mit guten Nutzanwendungen
    vorgetragen, teils so fein und erheiternd mit Witz
    und Wortspiel verziert, teils auch so burlesk und drol-
    lig, daß ihnen die natürliche Gemeinheit zum guten
    Teil genommen ist und daß sie bei gesunden und ver-
    nünigen Lesern gewiß keinen Schaden anzurichten
    vermögen. Dazu kommt, daß neben diesen anderen
    so viele Geschichten voll Reinheit und Edelsinn ste-
    hen, ja auch unter denen, welche ausschließlich von
    der Liebe handeln, finden sich nicht wenige Beispie-
    le von seltener Keuschheit, Treue und Ehrbarkeit.
    Überdies war der Meister ehrlich genug, jeder Ge-
    schichte ihren kurzen Inhalt in Überschrien voranzu-
    
    stellen, so daß, wer gewisse Dinge verabscheut, die
    davon handelnden Novellen ungelesen überschlagen
    kann.
    Ein besonderer Vorwurf wird ungerechterweise dem
    Dekameron darüber gemacht, daß die einzelnen Ge-
    schichten von Erzählern beiderlei Geschlechts berichtet
    werden und daß die jungen Damen nicht nur manche
    derbe Posse mit anhören, sondern auch selbst solche
    erzählen. Mir ist zwar nicht bekannt, weshalb die Frauen
    so viel mehr als die Männer vor jenen Dingen Scheu
    haben sollten, auch kann man jeden Tag sehen, daß dem
    in Wirklichkeit nicht so ist; dennoch hat auch hierfür der
    Meister sich fein und deutlich entschuldigt, indem fast
    jede Novelle im Beginn oder am Schlusse einleuchtend
    erklärt, warum und in welcher Absicht sie erzählt sei.
    Die Einführung der Erzählungen heiklen Inhalts hat
    Boccaccio auf eine ungemein heitere und kluge Weise
    gegeben. Unter den drei Jünglingen der Gesellscha
    befindet sich einer namens Dioneus, ein Witzemacher,
    Spötter und Schalk vom reinsten Wasser. Dieser nun ist
    der erste, welcher am ersten Tage es wagt, eine soge-
    nannte saige Geschichte vorzutragen, und er behält
    sich das Recht vor, ohne Zwang jedesmal gerade das zu
    erzählen, was er im Augenblick besonders unterhaltend
    fände. Dieser Dioneus fährt denn auch stets, ohne sich
    sonderlich an das vorgeschlagene ema zu halten, in
    der begonnenen Art fort, und unter den zehn von ihm
    erzählten Novellen sind nur zwei, die nicht anstößig
    wären, und auch von diesen beiden ist noch die eine,
    

    Erste Posse des Dioneus
    obwohl frei von Liebesabenteuern, voll von anderen
    kräigen Scherzen und Spöttereien.
    Die erste von Dioneus erzählte Posse, worin ein
    Mönch sich in die Liebe einer Dirne mit dem Abte teilt,
    erregt bei den Damen Erröten und Schelten. Allmäh-
    lich wagen es nun auch die beiden anderen Jünglinge,
    ähnliches vorzutragen, bei den Mädchen überwiegt
    bald das Gelächter den Unwillen, und nach und nach
    entschlüp auch ihnen da und dort eine derbe Historie,
    bis am Ende die Scheu ganz überwunden ist und alle
    ihren natürlichen Eingebungen folgen, so daß zuletzt
    auch von den Damen jede wenigstens eine oder zwei
    derartige Anekdoten zum besten gegeben hat. Dioneus
    
    freilich bleibt hierin obenan, nicht nur was die Anzahl,
    sondern auch was die Stärke seiner
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