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Boccaccio

Boccaccio

Titel: Boccaccio
Autoren: Hermann Hesse
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noch
    der bewegliche, kecke und witzige Geist des geborenen
    Florentiners mangeln, den man nicht lernen kann.
    Denn wohl haben in späteren Zeiten auch manche
    weichliche Neapolitaner, leichtsinnige Mailänder, trä-
    ge Venetianer und plumpe Sienesen hübsche Novellen
    geschrieben; allein diese alle hatten den Boccaccio zum
    Lehrmeister, welcher der Vater und Urheber dieser
    Kunst gewesen ist.
    Wenn man nun bedenkt, in welcher Zeit das Buch
    Dekameron verfaßt wurde, so begrei man leicht, wes-
    halb die Stadt Florenz seine Heimat sein mußte. Diese
    reiche und prächtige Stadt, welche auch heute noch
    eine der schönsten auf Erden ist, befand sich eben zu
    jener Zeit zwar in mancherlei Kämpfen und politischen
    Nöten, jedoch begann sie schon sichtbar nach jener un-
    vergleichlichen Blüte hinzustreben, welche sie hundert
    Jahre später erreichte. So erfreute sie sich einer emsigen
    und glücklichen Tätigkeit auf allen Gebieten und nahm
    nicht weniger im Handel als in den Künsten täglich an
    Ruhm und Glücke zu, während das mächtige Rom
    kläglich darnieder lag, indem der Papst samt seinem
    ganzen Hoalte sich nach Avignon in der Provence
    verzogen hatte. Es war von Florenz sowohl der be-
    

    Florenz zur Zeit Boccaccios
    
    rühmte Petrarca als der große Dichter Dante gebürtig,
    obwohl dieser in der Verbannung gestorben war, wie
    denn auch infolge beständiger Bürgerkriege des Pe-
    trarca Familie vertrieben war und in Arezzo lebte. Und
    was die Florentiner an jenem göttlichen Dichter gesün-
    digt hatten, suchten sie desto eifriger zu sühnen, indem
    sie damals und noch lange nachher eine große Zahl von
    Gelehrten, Dichtern, Künstlern und anderen Männern
    beherbergten, deren Ruhm ihrer Stadt zur Ehre ge-
    reichte und sie gewürdigt hat, bis auf diesen Tag die
    eigentliche Geburtsstätte des Rinascimento zu heißen.
    Zugleich unterhielten die Kaufleute einen großen Ver-
    kehr nach allen Ländern der Welt, und es lebten viele
    Florentiner Bürger als Händler und Geldwechsler in
    Rom, Neapel, Mailand, Paris, Byzanz, London, Flan-
    dern, auf Sizilien, Malta, Kreta, Cypern und ander-
    wärts, von wo nicht nur Geld und Wohlstand, sondern
    auch mannigfaltige Nachricht und Kunde fremder Ge-
    genden, Sitten und Begebenheiten täglich in die Stadt
    kamen.
    Aus einer so beschaffenen Zeit und Stadt entstammte
    also der Verfasser des Dekameron . Aber dennoch ist er
    nicht in Florenz oder in dem benachbarten Certaldo,
    von wo sein Geschlecht herkam, geboren. Vielmehr
    fügte es das Schicksal, das ja stets der größte Dichter
    gewesen ist, daß das Leben dieses weitbekannten No-
    vellenerzählers in einiger Dunkelheit und nicht anders
    als eine Abenteuernovelle begann.
    Höret denn, Ihr lieben Herren und Damen, das we-
    
    nige, was man vom Leben dieses herrlichen Dichters
    heute noch weiß, denn leider ist es lange nicht so viel,
    als man wünschen möchte!
    Aus dem Städtchen Certaldo im Elsatal gebürtig,
    lebte zu Florenz ein Kaufmann namens Boccaccio. Er
    war ein fleißiger und kluger, allein auch geldgieriger
    und leichtfertiger Mensch, welcher zahlreiche Han-
    delsreisen teils für fremde, teils für eigene Rechnung
    unternahm, wobei er ebensosehr für seinen Vorteil wie
    für sein Vergnügen zu sorgen verstand, jedoch nach
    Art der Kaufleute auch öeren Zufällen und Glücks-
    wechseln ausgesetzt war. Längere Zeit war er an dem
    großen Bankgeschäe des altberühmten Hauses der
    Bardi beteiligt, welches auch in Paris, wie in anderen
    Städten, eine Filiale besaß und hohes Ansehen genoß.
    Diesem Pariser Hause hat unser Kaufmann eine Zeit-
    lang vorgestanden, und wenn er dabei sich als ein
    tüchtiger Handelsmann erwies, so ließ er doch in dieser
    großen und üppigen Hauptstadt auch sein Vergnügen
    nicht außer Augen.
    Wenigstens sah er daselbst eines Tages eine junge und
    sehr hübsche Witwe, welche ihm überaus wohlgefiel
    und deren Gunst er sogleich zu erwerben sich be-
    mühte. Dies tat er denn auch, als ein gewiegter Mann,
    auf jede Weise, indem er sich für einen Edelmann aus-
    gab, was ihm bei seiner hübschen Gestalt sehr wohl
    gelang. Er spielte den Feinen und trat nicht anders auf,
    als wenn er der Sohn des vornehmsten Hauses gewesen
    wäre, obwohl er im Grunde wenig mehr als ein bäue-
    
    risch gebildeter Geldwechsler war. Bald hatte er die
    Augen der schönen Witwe auf sich gelenkt und sie sei-
    nen ehrerbietigen Bitten zugänglich gemacht, und da
    er ihr mit
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