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Boccaccio

Boccaccio

Titel: Boccaccio
Autoren: Hermann Hesse
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Possen betri. Wel-
    cher Novelle in dieser schlimmen Hinsicht der Vorrang
    gebühre, mag jeder für sich entscheiden. Aber auch
    davon abgesehen, daß alle diese von der sinnlichen
    Liebe handelnden Stoffe mit vieler Schönheit und
    Kunst vorgetragen werden, sind Reden und Benehmen
    der zehn jungen Leute im übrigen so ehrbar und tadel-
    frei, daß man wohl sehen kann, wie Reden und Tun
    zweierlei Dinge sind und wie Freimütigkeit sich mit
    guter Sitte sehr wohl verträgt. Darin könnte sogar
    mancher von den Erzählern der hundert Novellen viel
    Nützliches lernen.
    Im Ernst möchte ich keinem klugen Leser raten, die
    unanständigeren Novellen des Dekameron völlig zu
    überschlagen. Wer selbst von guter und reinlicher Na-
    tur ist, wird gewiß das wirklich Unsäuberliche von
    selber liegen lassen. Davon abgesehen, offenbart sich
    aber gerade in einigen der derberen Geschichten die Art
    des Boccaccio am besten, so daß man in ihnen ebenso
    die große Anschaulichkeit und Wahrheit der Darstel-
    lung wie die Lebendigkeit der Sprache bewundern
    muß. Es sind von alters her die Florentiner in Witzwor-
    ten, Anspielungen und schalkhaen Wendungen der
    Rede sehr geübt gewesen und sind es auch heute noch
    in hohem Grade. Da nun Boccaccio in jenen Anekdo-
    ten und Possen durchaus dieselbe Sprache redet wie das
    florentinische Volk auf der Gasse, zeigen dieselben ih-
    rem Inhalte zum Trotz häufig eine Anmut und Natür-
    
    lichkeit, welche fast nie von anderen Schristellern
    erreicht wurde.
    Wer noch weiteres zur Verteidigung des armen Gio-
    vanni gegen fromme Vorwürfe für notwendig hält,
    möge seine eigenen Rechtfertigungen lesen, welche am
    ausführlichsten in der Einleitung, sowie in der Vorrede
    zum vierten Tage und im Epilog sich finden. Wohl
    dem, der dessen nicht bedarf und sich frohen Herzens
    des dargebotenen reichen Genusses erfreut!
    Übrigens sind die Novellen des Boccaccio vor Zei-
    ten keineswegs vornehmlich deshalb so getadelt wor-
    den, weil sie öers in freimütiger Weise von den
    Vergnügungen der Liebe handeln; denn von diesen
    Dingen wurde in jenen Zeiten viel natürlicher und
    freier gesprochen, als es heute Sitte ist, wo man zwar in
    allen Verderbtheiten große Übung hat, aber davon zu
    reden sich gewaltig scheut. Auch ist sowohl die deut-
    sche wie die englische Literatur der älteren Zeit reich an
    Unflätereien, neben welchen die bösesten Stellen des
    Boccaccio noch wie Gebete klingen.
    Vielmehr zielten die vielen Anklagen damaliger
    Zensoren fast ausschließlich darauf, daß im Dekameron
    häufig, wie man meinte, die heilige Religion und Kir-
    che angetastet und verhöhnt werde. In dieser Hinsicht
    ist nun freilich die heutige Zeit weniger eilig zum Ver-
    dammen geneigt.
    In Wirklichkeit findet man in dem ganzen Werke
    keine noch so kleine Stelle, welche wider die Religion
    gerichtet wäre oder die Absicht hätte, sie zu verspot-
    
    ten. Im Gegenteil ist öers von göttlichen Gesetzen
    und vom christlichen Glauben in den aufrichtigsten
    und gläubigsten Ausdrücken die Rede. So wird auch
    von der Gesellscha der Zehne jedesmal der Freitag
    und Samstag mit Strenge gefeiert, und an diesen Tagen
    hören wir weder von Geschichtenerzählen noch von
    sonstigen Lustbarkeiten. Was aber uns heute billig und
    gerecht erscheint, damals jedoch zu großer Verdam-
    mung gereichte, das ist der Umstand, daß Boccaccio
    bei jeder Gelegenheit von Priestern, Mönchen und
    Nonnen, auch von Äbten, Bischöfen, Prioren und ho-
    hen geistlichen Herren mit der kühnsten Freimütigkeit
    gesprochen hat. Er tat dieses teils, indem er die unan-
    ständigen und lasterhaen Handlungen, wenn er solche
    berichtet, fast immer solchen Klerikern in die Schuhe
    schob, teils redete er aber auch unverhüllt in den
    strengsten und heigsten Ausdrücken über Priester
    und Mönche. Von diesen sagt er, außer an vielen ande-
    ren Orten, in der siebenten Novelle des dritten Tages:
    »Sie schreien über die Üppigkeit gegen die Männer,
    damit, wenn sie diese sich vom Halse gescha haben,
    die Weiber für die Schreier zurückbleiben. Sie verdam-
    men den Wucher, damit sie, wenn der Sünder durch
    ihre Hände den ungerechten Gewinst zurückerstattet,
    sich vorher daraus die weitesten Kutten machen lassen
    und Bistümer und Prälaturen kaufen können. Sie pre-
    digen lauter Gutes – aber warum? Damit sie selbst das
    tun können, was, wenn sie es den Weltlichen nicht ver-
    böten, sie nicht tun könnten!
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