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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner
Autoren: James Bowen
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seiner Nase. Der Kater sprang sofort auf und lief hinter mir her. Er war ein bisschen wackelig auf den Beinen. Außerdem bemühte er sich, eine Hinterpfote nicht zu belasten. Wir kamen nur langsam voran. Der Weg bis zu meiner Wohnung im fünften Stock war beschwerlich für den geschwächten Kämpfer. Aber er war zu stolz oder auch zu misstrauisch, um sich von mir tragen zu lassen.
    Meine vier Wände waren damals noch ziemlich bescheiden eingerichtet. Außer dem Fernseher gab es nur eine gebrauchte, ausziehbare Couch, eine Matratze in der Ecke des kleinen Schlafzimmers und in der Küchenzeile einen altersschwachen Kühlschrank, eine Mikrowelle, Wasserkocher und Toaster. Keinen Herd. Meine persönlichen Dinge beschränkten sich auf meine Bücher, Videokassetten und ein paar kuriose Staubfänger. Man könnte mich mit einer Elster vergleichen, weil ich gern Dinge mit nach Hause nehme, die andere Leute wegwerfen. Meine letzten Errungenschaften waren eine kaputte Parkuhr und eine ramponierte Schaufensterpuppe mit Cowboyhut, die meine kahlen Zimmerecken schmückten. Meine Freunde interessierten sich immer sehr für die Kuriositäten in meiner Bude, aber der Kater fand auf seinem ersten Rundgang nur die Küche interessant.
    Ich holte die Milch aus dem Kühlschrank, goss etwas davon in eine Untertasse mit hohem Rand und mischte etwas Wasser darunter, da Katzen – entgegen der allgemeinen Meinung – Milch nicht gut vertragen. Bereits nach wenigen Sekunden hatte er alles aufgeschleckt.
    Ich hatte noch etwas Thunfisch im Kühlschrank. Den vermischte ich mit dem Trockenfutter aus meinem Rucksack und gab dem Kater eine volle Schüssel. Auch diese Portion war sofort verschlungen. Der Arme musste kurz vor dem Verhungern sein!
    Nach dem kalten, ungemütlichen Flur war meine bescheidene Wohnung scheinbar die reinste Fünf-Sterne-Luxusunterkunft für ihn. Er zeigte keinerlei Unbehagen in der neuen Umgebung. Hoch erhobenen Schwanzes steuerte er nach seinem exquisiten Mahl zielstrebig auf die Heizung im Wohnzimmer zu. Dort rollte er sich zufrieden zusammen und schloss sogar die Augen.
    Ich setzte mich zu ihm auf den Boden, um mir sein Hinkebein anzusehen. Am Oberschenkel seiner rechten Hinterpfote klaffte eine tiefe Bisswunde. Vielleicht von einem Kampf mit einem Hund oder Fuchs. Jedenfalls sah die Verletzung aus, als hätte er versucht, sich mit Gewalt loszureißen. Auch die Schrammen und Kratzer sprachen für einen Kampf auf Leben und Tod.
    Die Wunde musste dringend gereinigt werden. Dazu stellte ich ihn in die Badewanne, besprühte die Wunde mit alkoholfreiem Wundspray und schmierte Vaseline auf seine Schrammen. Die meisten Katzen wären bei dieser Behandlung ausgerastet. Diese hier hielt mucksmäuschenstill. Kein Jammern, kein Klagen, kein Maunzprotest und keine empört aufgestellten Haare. Er versuchte auch nicht, mich zu kratzen oder sich aus dem Staub zu machen. Was für ein tapferer kleiner Krieger!
    Den Rest des Tages verbrachte ein zufrieden zusammengerolltes rotes Fellknäuel unter meiner Heizung. Ich hatte ihm eine Decke hingelegt, als mir klar wurde, dass dies wohl der auserwählte Lieblingsplatz war. Kurzfristige Energieschübe zwischendurch nutzte er zur Erkundung der neuen Umgebung. Er nahm sein neues Zuhause in Besitz, sprang überall hoch und kratzte genüsslich an allem, was Widerstand bot. Besonders die Schaufensterpuppe hatte es ihm angetan. Es machte mir nichts aus. Schließlich hatte ich keine teuren Designermöbel. Ich gönnte ihm seinen Spaß.
    Offenbar steckte eine Menge aufgestauter Energien in dem kleinen Kerl, die er loswerden musste. Bei einer dieser Anwandlungen sprang er plötzlich zu mir auf die Couch und ging mit den Pfoten auf mich los. Es war eine Aufforderung zum Spiel, aber er war so übermütig, dass er mir im Eifer des Gefechts die Hand zerkratzte. »Okay, mein Freund, jetzt ist Schluss mit lustig«, schimpfte ich, klaubte ihn von meinem Schoß und setzte ihn zurück auf den Fußboden. Junge, unkastrierte Kater können sehr ungestüm sein. Und dieser hier steckte scheinbar schon mitten in der Pubertät. Jedenfalls benahm er sich wie ein wilder kleiner Straßenrowdy und hatte wenig gemein mit einem Samtpfötchen.
    Den Abend verbrachte ich vor dem Fernseher, der Kater sichtlich zufrieden unter der Heizung. Er bewegte sich erst wieder, als ich ins Bett ging. Er folgte mir und kuschelte sich am Fußende meiner Matratze wie selbstverständlich auf meine Bettdecke. Sein leises Schnurren in der
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