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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner
Autoren: James Bowen
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er nicht mehr zurückfand. Vielleicht war er aber auch nicht glücklich bei seiner Ex-Familie gewesen und hatte selbst beschlossen, loszuziehen und sich einen netteren Dosenöffner zu suchen. Katzen tun das manchmal.
    Er könnte auch einer alten Dame gehört haben, die verstorben war.
    Nichts davon musste stimmen. Da er sein Geschäft nur im Freien verrichtete, war es auch gut möglich, dass er noch nie in einer Familie gelebt hatte. Dagegen sprach allerdings seine Zutraulichkeit. Er mochte Menschen, schien jeden in Frage kommenden Versorger zu umschmeicheln, so wie er es mit mir getan hatte.
    Ein wichtiger Hinweis auf einen Teil seiner Vergangenheit war für mich die schlimme Bisswunde am Bein. Die Wunde eiterte bereits, war also ein paar Tage alt. Sie brachte mich auf eine weitere Idee zu seinem Vorleben:
    In London hat es schon immer viele Straßenkatzen gegeben, Streuner, die durch Nebenstraßen und Hinterhöfe streiften und von den Abfällen und Almosen fremder Menschen lebten. Schon vor fünf- oder sechshundert Jahren waren die Gresham Street im Zentrum von London, Clerkenwell Green und Drury Lane bekannt als Katzenreviere. Es muss dort nur so gewimmelt haben von verwilderten Rudeln.
    Auch heute noch sind Londons Streuner ein unerwünschter Ballast in dieser Stadt, ausgemustert und weggeworfen von einer übersättigten und respektlosen Wohlstandsgesellschaft. Sie streunen ziellos umher und kämpfen täglich ums nackte Überleben. Viele von ihnen sind misshandelte, gebrochene Kreaturen. War mein verwundeter Kämpfer einer von ihnen? Vielleicht hatte er einen Seelenverwandten gesucht und in mir gefunden.

2
    Auf dem Weg der Genesung
    I ch halte mich für einen Katzenkenner, denn ich bin mit diesen Haustieren aufgewachsen. Neben mehreren Siamkatzen hatten wir auch einmal eine wunderschöne Schildpattkatze. Unsere flauschigen Familienmitglieder haben mir viele schöne Erinnerungen hinterlassen. Aber es gibt auch eine sehr traurige Geschichte, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat.
    Ich bin in England und Australien groß geworden, und zu diesem Zeitpunkt lebten wir gerade in Cragie, einem Ort in Westaustralien. Meine Mutter brachte eines Tages ein süßes, weißes Katzenbaby mit ganz dichtem, flauschigem Fell nach Hause. Ich glaube, sie hatte sie von einem Bauern aus der Umgebung. Auf jeden Fall war das kleine Wollknäuel total verwahrlost.
    Bevor die Kleine zu uns kam, war sie noch nie von einem Tierarzt untersucht worden. Das arme Ding war voller Flöhe, aber wir haben es leider nicht gleich bemerkt. Ihr dichtes Fell wurde ihr zum Verhängnis. Die Flöhe nisteten so tief im Unterfell, dass sie lange unbemerkt blieben. Diese Parasiten saugen anderen das Leben aus, um selbst zu überleben. Und genau das geschah bei unserem Kätzchen. Als wir endlich kapierten, wie schlecht es ihr ging, war es bereits zu spät. Meine Mutter brachte die Kleine noch zum Tierarzt, aber der schüttelte nur noch den Kopf. Das Katzenkind war bereits dem Tod geweiht. Es hatte alle möglichen Infektionen und Krankheiten. Es war nur zwei Wochen bei uns, bis es starb. Ich war damals fünf oder sechs Jahre alt und konnte diese Tragödie gar nicht recht verkraften, genauso wenig wie meine Mutter.
    Ich musste oft an dieses arme Kätzchen denken, vor allem, wenn mir eine weiße Katze über den Weg lief. Aber an diesem Wochenende ging sie mir gar nicht mehr aus dem Sinn. Schuld daran war der zerzauste kleine Kämpfer, den ich bei mir aufgenommen hatte. Das schäbige, stumpfe Fell des Katers machte mir Angst. Er sollte nicht so erbärmlich enden wie das weiße Katzenkind aus meinen Kindertagen. Ich durfte das nicht zulassen und wollte auf keinen Fall sein Leben riskieren.
    Am Sonntagabend stand mein Entschluss fest: Der Kater musste zum Tierarzt. Meine laienhafte Erstversorgung würde seine Beinverletzung nicht heilen. Und wie sollte ich beurteilen, welche anderen Krankheiten er noch mit sich herumschleppte? Ich durfte das nicht länger aufschieben. Gleich am nächsten Morgen wollte ich mit ihm zur nächstgelegenen RSPCA -Tierambulanz. Die war, so viel ich wusste, in der Nähe von Finsbury Park.
    Ich hatte mir extra den Wecker gestellt. Mein kleiner Schützling bekam zum Frühstück wieder eine Portion Trockenfutter vermischt mit Thunfisch. Draußen graute ein trüber Morgen, aber heute war das keine Ausrede, um zu Hause zu bleiben.
    Mit seinem verletzten Bein würde der Kater die neunzig Minuten Fußmarsch bis zur Tierambulanz nicht
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