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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen
Autoren: Blake Crouch
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Holzscheite, ließen die letzte Feuchtigkeit verdampfen und verbrannten das duftende Harz.
    Während das Feuer Behaglichkeit in der Hütte verbreitete, ging ich in die Küche, wusch die Kaffeereste aus dem Kaffeebereiter, setzte auf dem Gasherd einen Topf Wasser auf und warf eine Hand voll französisch gerösteter Kaffeebohnen in die Mühle. Während mein Kaffee zog und die Hütte mit dem kräftigen Aroma der Bohnen füllte, setzte ich mich an den Kamin und las die zehn Seiten, die ich am Vorabend überarbeitet hatte. Das neue Buch machte gute Fortschritte. Es war die erste autobiografische Erzählung, die ich je in Angriff genommen hatte, eine Arbeit über Beichte und Läuterung, die wahre Geschichte meines Abstiegs vom erfolgreichen Schriftsteller zum vermeintlichen Mörder. Letzte Nacht hatte ich auch den perfekten Titel gefunden. Wenn ich in dem Tempo weiterarbeitete, wäre die überarbeitete Fassung bis Thanksgiving fertig. Und dann blieb mir schließlich noch der ganze Winter – jene dunklen, eisigen Tage –, um daran zu feilen.
    Es war ein gutes und zugleich merkwürdiges Gefühl, wieder zu schreiben, so wie vor vielen, vielen Leben.
     
    Nach dem Frühstück fuhr ich mit meinem CJ-5 nach Haines Junction, eine fünfzehnminütige Fahrt auf der unbefestigten Borealis Road. Kurz vor dem Ort kam ich durch eine Gruppe von Zitterpappeln. Ich überlegte, ob dieses Waldstück mit den safrangelben Blättern an den Ästen aus der Luft wohl wie eine Goldflocke ausgesehen hatte, bevor letzten Monat das Laub abgefallen war.
    In dieser Woche brauchte ich nichts aus Madleys Laden, daher parkte ich am Raven Hotel und ging den leeren Bürgersteig des Kluane Boulevards hinab.
    In den Sommermonaten wimmelte es hier von Touristen. Sie kamen wegen der Berge, die sich fünf Meilen weiter westlich aus dem Wald erhoben. Durch den Ökotourismus waren drei Gasthöfe, fünf Restaurants, zwei Geschäfte für Freizeitbekleidung, eine Kunstgalerie und zahlreiche Andenkenläden entstanden. Doch im Oktober, wenn die Tage kürzer wurden und frischer Schnee das hoch gelegene Land bedeckte, waren die Touristen wieder verschwunden, die Gasthöfe und die meisten Restaurants geschlossen und gut hundert Leute, einschließlich mir, hatten den langen Winter über keine Arbeit.
    Ich hielt unter der Markise des Lantern an. Eine dünne Wolkenbank war in der letzten Stunde aufgezogen und bildete nun einen trüben Film, durch den die Sonne nur dann und wann hindurchschien. Die Luft roch nach Schnee, und obwohl ich keinen Wetterbericht gesehen hatte, hätte ich meinen Gehaltsscheck, den ich gerade abholen wollte, verwettet, dass vom Pazifik her ein Gewitter aufzog.
    Ich betrat das Lantern. Julie, die kleine Aishihikfrau, die das Restaurant vor sechs Jahren eröffnet hatte, reinigte gerade den kleinen Speisesaal mit dem Staubsauger. Es sah hier genauso aus, wie man sich das beste Restaurant in der Wildnis des Yukon vorstellte: trübe Beleuchtung, weiße Papiertischdecken, Plastikblumen und eine opulente Weinliste – rot und weiß. Um hier gut gelaunt arbeiten zu können, hatte ich zunächst den verwöhnten Snob in mir unterdrücken müssen.
    Als Julie mich am Empfangspult stehen sah, schaltete sie den Staubsauger aus und sagte: »Dein Gehaltsscheck liegt hinten. Ich hol ihn dir.«
    Sie ging durch die Schwingtüren in die Küche und kam kurz darauf mit meinem letzten Gehaltsscheck für diese Saison zurück.
    »Was ist denn heute Abend hier los?«, fragte ich.
    »Der Lions Club lädt zu einem Bankett ein. Hätte dich gut gebrauchen können, Vince, aber da du ja kein Telefon hast, ist es viel einfacher, Doug anzurufen, als die sechs Meilen raus zu deiner Hütte zu fahren.« Sie gab mir den Umschlag. »Komm nächstes Frühjahr wieder vorbei, wenn du den Job dann noch willst. Du weißt, dass ich ihn für dich freihalte.«
    »Das weiß ich zu schätzen, Julie. Ich sehe dich bestimmt mal während des Winters.«
    Ich verließ das Restaurant und überquerte die Straße. Da es erst halb elf war, war es im Bill’s noch leer. Dafür hatten die beiden Frisörsalons (Locken, Färben und Sonnenbräunen) rechts und links vom Diner umso mehr Kunden.
    Ich betrat das Bill’s und bestellte eine seiner selbst gemachten Bärentatzen und einen großen Becher schwarzen Kaffee. Bill kam aus Florida und war vor fünfundzwanzig Jahren nach Haines Junction gezogen. Irgendwo hatte ich gehört, er sei ein Vietnamveteran, aber da er den Krieg nie erwähnte, erwähnte ich ihn auch
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