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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen
Autoren: Blake Crouch
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Flieshosen, rostrote Fliessocken und ein dickes, langes Unterhemd. Sein Haar fiel als filzige Matte über die obere Rückenhälfte.
    Auf einem kleinen Tisch hinter Andrew lag ein geöffnetes Buch. Offensichtlich hatte er gerade beim Abendessen im Schein der Laterne gelesen.
    Nachdem Andrew das Geschirr abgetrocknet und weggeräumt hatte, legte er Holz nach, stocherte in der Glut herum und stieg dann die Leiter zu einer Galerie hinauf.
    Von seinem kalten Blickwinkel aus konnte der Voyeur lediglich die Einrichtung von Andrews Schreibnische erkennen – einen Schreibtisch, Bücherregale, eine Schreibmaschine und kleine Notizzettel (vielleicht zwei Dutzend), die an den Dachsparren über seinem Kopf hingen. An einem der Balken hing ein Plakat von Edgar Allan Poe, das in der warmen Kaminluft immer wieder hochflatterte.
    Andrew saß am Schreibtisch und durch die Fensterscheibe war ganz leise das Klappern der Schreibmaschine zu hören.
    Also schrieb der Meister.
    Horace grinste und versuchte sich jedes Detail einzuprägen. Die Details würden irgendwann so wichtig sein.
    Vor genau einem Jahr hatte er das Schreibseminar an der Alaska-Universität verlassen. Während einer Sitzung mit seinem Bereichstutor Professor Byron, einem eitlen Mittdreißiger der akademischen Welt, war es zum Eklat gekommen. Horace hatte beschlossen, bei Byron als Diplomarbeit eine Sammlung von Horrorkurzgeschichten einzureichen, und dieser Professor hatte ihn dafür laut ausgelacht.
    »Na und?«, hatte Horace gefragt.
    »Nichts, es ist nur… ich meine, falls Sie glauben, sich einen Namen als – «
    »Ich hab’s satt, weinerliche Mein-Leben-ist-ein-Reinfall-Romane zu schreiben, die in irgendwelchen Vorstadtküchen spielen.«
    »Und Sie glauben, das ist es, was wir hier unterrichten?«
    »Ich meine, Gott hat wohl verboten, dass die Geschichten irgendeine Handlung haben dürfen.«
    »Mr Boone – «
    »Wissen Sie, ich hab versucht, Ihr Buch zu lesen, hm, wie war noch gleich der Titel – Ein Kampf gegen Gefühle?«
    Byron wurde steif und rückte die Brille zurecht.
    »Laaangweilig. Nicht das, was ich schreiben will.«
    Der Professor lächelte säuerlich. »Wissen Sie, wer es keineswegs für langweilig befand?« Er zeigte auf einen Zeitungsausschnitt – eine ruhmvolle Kritik in der New York Times –, der unübersehbar neben einem Bücherregal an der Wand hing. »Also Folgendes, Mr Boone. Ich werde Ihren Vorschlag für das Thema der Diplomarbeit nicht akzeptieren. Kommen Sie in einer Woche mit einem guten Vorschlag wieder oder ich lasse Sie durchfallen. Und zum Sommersemester werden Sie sich nicht wieder einschreiben. Auf Wiedersehen.« Mit diesen Worten hatte sich Byron auf seinem Drehstuhl weggedreht und angefangen, eine E-Mail zu tippen.
    Also war Horace wie befohlen eine Woche darauf mit einem neuen Themenvorschlag für die Diplomarbeit erschienen: ein Comic, in dem der Böse ein ekelhafter Großprotz namens Byron war, dessen Macht darin bestand, eifrigen Studenten die Freude am Schreiben zu nehmen.
    Nach Thanksgiving fand er einen Job als Buchhändler in der Buchhandlung Murder One in der Nähe des Uni-Campus. Seitdem verbrachte er seine Tage damit, den Kunden zu helfen, die spannendsten Bücher zu wählen, in den Nächten verfasste er seine eigene Horrorgeschichtensammlung. Nach zwei Wochen hatte er zwanzig Geschichten begonnen und keine zu Ende gebracht. Im Januar hatte er das Schreiben ganz aufgegeben, inzwischen fehlte ihm sowohl die Kraft als auch die Lust, etwas zustande zu bringen. In diesen Wintermonaten in Anchorage empfand er nur Frust, fiel in eine Depression und endete in Apathie. Scheiß auf das Schreiben und Lesen! Er lebte nur noch für die kleinen Freuden des Lebens – einen Kasten Rolling Rock, Realityshows und Schlafen. Sein Traum vom Schriftstellerleben schien ein für alle Mal verschwunden, er hatte es in keinster Weise vermisst, bis zu dem Tag, der sein Leben völlig veränderte.
    Zitternd beobachtete er, wie die Schatten auf Andrew Thomas’ Rücken spielten, und dachte dabei an jenen kalten, sonnigen Aprilnachmittag vor einem halben Jahr zurück, als der berüchtigste Krimiautor der ganzen Welt in seine Anchorage-Buchhandlung geschlendert war und seinem Leben eine neue Richtung gegeben hatte.
     
    Nachdem ich den Kunden in den letzten vierzig Minuten beim Durchstöbern der Regale beobachtet habe, weiß ich mit hundertprozentiger Sicherheit, dass es Andrew Thomas, der Schriftsteller und Mörder, ist – trotz dichten Bartes
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