Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Blutzeichen

Titel: Blutzeichen
Autoren: Blake Crouch
Vom Netzwerk:
– Joel – sieh’s doch ein –
    Du scheinst dir nichts dabei zu denken.
    Verstehst es nicht? Wir müssen wirklich auf der
    Hut sein an einem Ort, so schrecklich einsam,
    Wie’s hier ist. Joel!« Sie sprach,
    Als habe sie die Kraft nicht mehr, sich umzudrehn.
    Die schwingende Laterne glitt zu Boden,
    Schlug auf, zerbarst, ihr Licht erlosch.
     
    – Robert Frost, Die Angst

Neun Monate später
     
    Violet erwachte.
    Sie rieb sich die Augen.
    Es war Morgen.
    Max schmatzte.
    Andrew saß mit einem Bleistift in der Hand in einem abgenutzten Flanellbademantel am Küchentisch, beugte sich über einen Haufen Blätter und kritzelte Korrekturen in sein Manuskript. Er hatte im Kamin ein kleines Feuer entfacht, um die Kälte der Nacht aus der Hütte zu vertreiben.
    Es roch nach starkem Kaffee.
    »Guten Morgen«, sagte sie.
    Andrew schaute durch das Gewirr seiner langen Haare auf.
    »Guten Morgen.«
    Sie krabbelte zum Bettende und holte ihren Sohn aus der Wiege. Während sie ihr Unterhemd hochschob, öffneten sich seine kleinen, nassen Lippen und suchten ihre braune Brustwarze. Sie lehnte sich zurück gegen die weichen Holzbalken und sah ihm beim Trinken zu.
    Das Kind blickte mit glänzenden Augen zu seiner Mutter auf.
    Andrew stand vom Tisch auf und ging auf sie zu.
    »Was ist los?«, fragte er.
    Violet schüttelte den Kopf.
    »Alles in Ordnung. Das hier sind gute Tränen.«
     
    Der Teich war so dunkel wie schwarzer Tee und klar bis zum Grund. Die Wurzeln der schwarzen Fichten, die ihn umstanden, hingen bis ins Wasser hinein – eine Wasserlichtung mitten im Wald. Sogar Mitte August war das Wasser beißend kalt, nur zur Mittagszeit, wenn die Sonnenstrahlen wie ein leuchtend grüner Lichtschacht bis auf den weichen Schlick am Grund schienen, erwärmte sich der Teich auf Badewassertemperatur.
    Andrew tauchte aus dem Wasser auf. Er richtete sich nackt auf und wärmte sich in der Yukon-Sonne, die direkt über ihm stand. Dabei dachte er darüber nach, wie er seine Autobiografie abschließen sollte, und erwog, sie genau hier an diesem Teich, in diesem Tal am Fuße der Berge, enden zu lassen.
    Alles war chronologisch festgehalten worden: die Wüste, Orson, die Outer Banks, die Kites, die Kinnakeet. Jetzt hieß es nur noch sich verbeugen und hinter den Vorhang treten.
    Andrew ging die letzten Schritte bis zum Ufer und kletterte hinaus. Er band seine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, wickelte sich in ein Handtuch und ließ sich auf eine von der Sonne gewärmte Decke fallen. Violet reichte ihm eine Sonnenbrille, die er aufsetzte, bevor er sich mit geschlossenen Augen flach in die Sonne legte.
    »Wie war es?«, fragte sie.
    »Wundervoll.«
    »Ich denke, ich tauche auch mal kurz ein.« Violet setzte ihren Sohn auf Andrews Brust. »Schau nicht auf meinen Bauch, Andy«, sagte sie warnend, obwohl sie schon beinah wieder genauso schlank war wie vor der Geburt. Violet hatte Max nach langwierigen Wehen vor drei Wochen im Whitehorse General Hospital zur Welt gebracht. Andrew war nicht von ihrer Seite gewichen.
    Nun blickte er auf den eingewickelten und schlafenden Säugling, während Violet sich auszog.
    »In Ordnung, ich gehe rein«, sagte sie.
    »Draußen in der Mitte ist es warm.«
    »Nicht hingucken.«
    Sie ließ sich vom bemoosten Ufer ins Wasser gleiten. Ihr kurzes Haar schimmerte in der Sonne – champagnerfarben mit einigen erdbeerfarbenen Strähnen.
    Max wachte auf und stieß einen zarten, winzigen Schrei aus.
    Andrew beruhigte ihn.
    Das Baby gähnte, blinzelte und blickte in das vertraute, bärtige Gesicht.
    »Großer Gott, es ist ein so tolles Gefühl, hier im Wasser zu sein!«, rief Violet und schwamm lachend in die Teichmitte.
    Andrew dachte an das Ende des Buches:
    Vis Panikattacken kommen seltener und sind schwächer, obwohl ich noch ab und zu nachts aufwache und höre, wie sie in ihr Kissen weint. Manchmal ruft sie nach mir und bittet mich, von der Galerie herunterzukommen und mich zu ihr zu setzen. Manchmal möchte sie alleine weinen. Wir sprechen selten von den Outer Banks. Wir haben keine Pläne für die Zukunft. Sie braucht das Gefühl, in der Gegenwart zu leben. Genau wie ich.
    Was für ein merkwürdiger und schöner Sommer hier mit Violet in den Wäldern!
    Ich habe nie solchen Frieden gekannt.
     
    Der Himmel war bereits abendlich blass geworden, als sie zurück zur Hütte gingen – eine Viertelmeile auf einem Elchpfad durch den Wald.
    Andrew blieb draußen, um Kaminholz zu hacken.
    Violet ging nach drinnen.
    Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher