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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen
Autoren: Blake Crouch
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und langen, ungepflegten Haaren verraten ihn sein stechender Blick und sein sanfter Mund.
    Schließlich kommt er an die Kasse. Er sieht aus, wie ich es erwartet habe – müde, kalt, ein Mann, der Dinge gesehen und getan hat, die sich die meisten Menschen nicht einmal vorstellen können. Meine Handflächen schwitzen, mein Mund ist trocken, meine Zunge ledern und rau wie Schmirgelpapier.
    Er legt fünf gebundene Bücher auf die Theke. Wir sind allein in der kleinen Spezialbuchhandlung für alte und neue Kriminalromane, die kaum mehr Platz bietet als ein geräumiges Schlafzimmer. Es ist dämmrig im Laden. Boden und Regale sind aus dunklem Wurzelholz. Es gibt keine Fenster, aber das ist nicht weiter schlimm, denn jedes Buch ist ein Fenster.
    »Ist das alles?«, schaffe ich zu fragen.
    Er nickt und meine Hände zittern, während ich seine Auswahl in die Kasse einlese: eine gebrauchte Ausgabe von Poes Kurzgeschichten, Kafka, drei Thriller von einem seiner Zeitgenossen.
    Ich lausche dem Rhythmus seines Atems – tief und ruhig. Ich rieche den Tanningeruch seiner Lederjacke. Sein Blick wandert über meinen Kopf hinweg zu dem Regal hinter der Kasse, in dem die zehn Bestseller von Murder One stehen.
    »Eins – oh – drei neunundachtzig«, sage ich.
    Er zeigt auf die Kreditkarte, die er bereits auf die Theke gelegt hat. Ich nehme sie in die Hand, fast ein bisschen zu hastig, und starre auf den ins Plastik geprägten Namen: Vincent Carmichael.
    Ich blicke von der Kreditkarte hoch in seine Augen.
    Er starrt mich an.
    Ich lese die Karte ein und gebe sie ihm zurück.
    Nachdem ich den Beleg aus dem Scanner gezogen habe, lege ich ihn zusammen mit einem Stift auf die Theke und schaue zu, wie er mit schmächtigen Buchstaben, die seiner eigenen Handschrift überhaupt nicht ähnlich sehen, Vincent Carmichael schreibt.
    Ein Teil von mir möchte ihn ansprechen, ihm sagen, dass ich alles gelesen habe, was er je geschrieben hat. Doch ich halte meinen Mund und erinnere mich an die Gerüchte, die diesen Mann umgeben – wüsste er, dass ich ihn erkenne, würde er mich umbringen.
    Daher stecke ich die fünf Bücher in eine Plastiktüte, reiche ihm seine Quittung und er spaziert zur offenen Tür hinaus in den kalten Alaska-Nachmittag.
    Er überquert den Campus Drive und lässt sich auf dem leuchtenden Rasen im Schatten eines Wacholderbaumes nieder, den stechenden Gingeruch seiner Beeren kann ich sogar im Laden riechen. Um ihn herum liegen Studenten in der matten Sonne oder im Schatten der überall im Rasen aufschießenden Jungbäume – lesen, schlafen oder rauchen, um die Pause bis zur nächsten Vorlesung zu überbrücken.
    Und während ich Andrew Thomas anstarre, steigt mein Adrenalinspiegel und eine aufregende Eingebung nimmt langsam Gestalt an.
    Ich habe meine Geschichte gefunden.

5. Kapitel
     
    Am Samstag erwachte ich in der Yukon-Morgendämmerung, zog einen Fliespullover über und schlüpfte in ein Paar schwere Lederarbeitsstiefel, um meine bestrumpften Füße vor dem gefrorenen Holzboden zu schützen. Die Wasserflasche auf meinem Nachttisch hatte eine Eishaube. Ich schaute hinüber zum Kamin und stellte fest, dass von dem Feuer nur ein Haufen warmer, feiner Asche geblieben war.
    Ich ging hinaus zu dem Holzstapel, den ich im September gehackt hatte. Die Holzscheite waren auf einer Länge von sechs Metern zwischen zwei Pappelstämmen, die im letzten Frühjahr nach einem Blitzeinschlag verkohlt waren, über zwei Meter hoch gestapelt. Die Kälte war beißend. Trotz der Lederhandschuhe kribbelten meine Finger.
    Ich sammelte gerade einen Arm voll Holz, als die ersten Sonnenstrahlen durch die Fichtenäste auf den Waldboden fielen. Das Thermometer auf der vorderen Veranda zeigte 15 Grad minus an.
    Als ich die Tür erreichte, hörte ich ein Knacken hinter mir. Ich erstarrte, drehte mich langsam um und suchte die Bäume mit Blicken ab. Knapp zwanzig Meter entfernt trat ein riesiger Elchbulle aus dem Fichtendickicht, sein gewaltiges Geweih verfing sich im Geäst. Er ging behände hinter dem Holzstapel entlang und wollte vermutlich zum Teich.
    Drinnen legte ich eine Hand voll Anmachholz auf den Metallrost und stapelte die Scheite in Form eines Indianerzeltes darüber. Anschließend knüllte ich mehrere Seiten des St. Elias Echo zusammen und stopfte sie darunter. Von der Nacht waren noch ein oder zwei heiße Kohlestückchen übrig, die die Zeitung entzündeten, die wiederum das dünne Holz aufflammen ließ. Bald züngelten helle Flammen um die
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