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Blutzeichen

Titel: Blutzeichen
Autoren: Blake Crouch
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schämte mich nicht mehr meiner selbst, und es bekümmerte mich, dass ich das je getan hatte.
    Nachdem ich an diesem Tag meine letzte E-Mail verschickt hatte, blickte ich durch das Fenster hinter meinem Rücken. Obwohl ich die Schneeflocken vor den Gebäuden auf der anderen Straßenseite nicht erkennen konnte, zeichnete sich in der Ferne der weiße Dunst vor dem immergrünen Wald ab.
    Ich lächelte.
    Der erste Schnee des Jahres war für den kleinen Südstaatenjungen in mir immer noch aufregend, da ich die meisten Winter in North Carolina verbracht hatte, wo Schneestürme eine Seltenheit waren.
    Bevor ich aufbrach, besuchte ich noch die Website des lokalen Nachrichtensenders in Charlotte, North Carolina. Jedes Mal wenn ich in diesen Computerraum kam, ging ich auf diese Website. Es war für mich die einzige Möglichkeit, etwas über Elizabeth, John David und Jenna Lancing zu erfahren, jener Familie, der ich den Ehemann und Vater genommen hatte.
    Doch selbst wenn ihnen etwas zustoßen sollte, würde ich es vermutlich nicht erfahren und könnte es auch nicht verhindern. Trotzdem beruhigte es mich, die Neuigkeiten von Charlotte und seiner Umgebung durchzulesen, auch wenn es nur eine symbolische Geste war und ich die Frau und die Kinder meines besten Freundes nicht wirklich beschützen konnte.
    Nachdem ich festgestellt hatte, dass keine der Schlagzeilen auf die Lancings hinwiesen (was sie nie taten), gab ich die Namen von Beth, John David und Jenna in eine Suchmaschine ein. Keine Suchergebnisse. Die einzige Recherche, die je erfolgreich gewesen war, hatte im letzten August auf Jennas dreizehnten Geburtstag hingewiesen.
    Letzten Winter hatte sie das Hundertmeterfreistilschwimmen ihrer Schule gewonnen, daher war ihr Name in der Ergebnisliste des Schwimmwettbewerbs auf der Schulwebsite. Ich war sehr versucht gewesen, ihr eine Glückwunschkarte zu schicken. Die Lancings lebten noch immer in ihrem alten Haus am Norman-See. Doch nach allem, was ich wusste, glaubte Beth, dass ich ihren Mann umgebracht hatte. Daher hatte ich lediglich die Schwimmwettbewerbsergebnisse ausgedruckt und Jennas Namen unterstrichen.
    Ein Magnet mit einem Hundeschlittenmotiv fixierte diese Seite immer noch auf meiner Kühlschranktür.
     
    Als ich die Bücherei verließ, war es bereits früher Nachmittag und der Schnee hatte den Kluane Boulevard, die geparkten Autos, den Wald und die Dächer mit einer zarten, zwei Zentimeter hohen Pulverschicht bedeckt. Ich knöpfte meine Jacke zu, zog eine schwarze Skimütze über beide Ohren und schlenderte auf dem Bürgersteig zurück zu meinem Jeep.
    Der Ort war so ruhig.
    Ich konnte beinah den Schnee fallen hören, ein unbewusstes Geflüster.
    Ich freute mich darauf, wieder zu Hause zu sein, ein Feuer zu entfachen und friedliche Stunden in der Wärme des Kamins mit Schreiben zu verbringen, während draußen der Wald zuschneite.
    Gott, ich liebte mein Leben!

6. Kapitel
     
    Karen Prescott erwachte, die Dunkelheit war unverändert.
    Sie setzte sich auf und stieß mit dem Kopf gegen eine Matte aus schallisolierendem Schaum.
    Ihr Bewusstsein kehrte voll zurück.
    Im Dunkeln tastete sie nach den unsichtbaren, vertrauten Dingen ihres kleinen schwarzen Universums: den zwei leeren Wasserflaschen zu ihren bloßen Füßen, der riesigen Seilrolle, dem Benzinkanister, der Decke.
    Ihr Kopf pochte vor Durst, ihr Kiefer war gebrochen, ihre Fingerspitzen aufgeschrammt, weil sie versucht hatte, die Glassplitter aus ihren Haaren zu zupfen. Das Auto stand reglos, der Motor schwieg zum ersten Mal seit Stunden. Karen fragte sich, ob es Tag oder Nacht war und wie lange sie in ihrem Bademantel auf diesem rauen, stinkenden, von ihrem Urin durchtränkten Teppich gelegen hatte.
    Wie weit war sie von ihrem Apartment in Manhattan entfernt?
    Wohin war der Mann mit den langen schwarzen Haaren verschwunden?
    Vielleicht hatte er den Wagen vor einer Raststätte geparkt und war gerade auf der Toilette oder füllte sich einen Becher am Trinkwasserspender oder unterschrieb einen Kreditkartenbeleg. Vielleicht stand das Auto auf dem Parkplatz eines Quality Inn. Er konnte im Bett eines Hotelzimmers liegen und sich einen Porno reinziehen.
    Was, wenn er einen Herzinfarkt erlitten hatte?
    Was, wenn er nie zurückkam?
    War der Kofferraum luftdicht?
    Verringerte sich mit jedem ihrer Atemzüge der letzte Rest Sauerstoff?
    Er wird mich irgendwann rauslassen. Er hat es versprochen. Ich bin still, bis –
    Sie hörte etwas.
    Kindergelächter.
    Ihre hohen Stimmen
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