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Blutspuk in Venedig

Blutspuk in Venedig

Titel: Blutspuk in Venedig
Autoren: Jason Dark
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eine ältere Frau an der Bar. Sie las in einem Magazin.
    »Ich möchte bezahlen.«
    »Gern.«
    »Ist immer so wenig los?« Arnos reichte dem Mann das Geld.
    »Nein, aber im Winter stehe ich mir manchmal schon die Beine in den Bauch.«
    »Bis auf den Karneval – oder?«
    »Si, das stimmt.«
    Arnos verzichtete auf das Wechselgeld. »Dann werde ich mich mal wieder auf den Weg machen.«
    »Genießen Sie die Stadt, Signore. Sie haben die Chance.«
    »Ich werde mein Bestes tun.«
    Knapp eine halbe Stunde später saß Sid Arnos im Zug, der ihn in die Stadt brachte. Sie mußten über den Brückendamm fahren, der Ponte della Ferrovia hieß. Zu beiden Seiten schimmerte trüb und grau das Wasser der Lagune. Ein leichter Wind strich darüber hinweg und zeigte auf der Oberfläche die kräuselnde Unruhe der Wellen.
    Der Zug rollte in den Sackbahnhof, an dessen Ostseite der Kanal die Grenze bildete. Viel Gepäck hatte Arnos nicht mitgenommen. Er stieg aus, und die Luft war noch feuchter und klammer geworden. Über der Stadt lag ein Dunst wie der Atem gewaltiger Kessel, die ihren Dampf abgelassen hatten. Arnos verließ den Bahnhof, ging die paar Schritte zum Kai und kam sich für einen Moment verloren vor, als er über den breiten Kanal hinwegschaute, gegen die geballte Wucht des Häusermeeres, durch das die vielen Wasseradern liefen, als wäre die Stadt ein pochendes, pulsierendes Herz, das mit Blut versorgt werden mußte.
    Möwen segelten durch die Luft. Selbst sie wirkten müde und traurig, als hätten sie ebenfalls das Kleid des Monats November übergestreift. Die Stimmen der Menschen klangen gedämpft, und das Klatschen der Wellen gegen die Kaimauern hörte sich an wie verhaltener Beifall.
    Arnos machte sich auf die Suche nach einem Boot. Weit brauchte er nicht zu laufen. An der Anlegestelle warteten die Wassertaxis. Ihre Fahrer hatten nicht viel zu tun. Wer nicht gerade unterwegs war, unterhielt sich mit seinem Kollegen, rauchte, las auch hin und wieder in irgendwelchen Zeitungen oder hatte die Hände tief in den Taschen der wärmenden Jacke vergraben.
    In der Nähe schaukelten einige Gondeln auf den trüben Wellen. Sie sahen aus, als wären sie verlassen worden, um irgendwann unterzugehen. Kein Hauch einer romantischen Gondelfahrt durchzog die Gewässer.
    Venedig trauerte, was sich auch auf die Geräuschkulisse bezog, denn sie klang dumpf und irgendwie fern, als wäre sie hinter einem dünnen Vorhang verborgen. Andere Reisende waren schon mit ihren Wassertaxis losgefahren. Als letzter trat Arnos an den Stand der Wassertaxis heran.
    »Bon giorno, Signore, wohin?«
    »Palazzo Ferrini.«
    »Ah, das ist am Canale Grande.«
    »Si.«
    »Steigen Sie ein.«
    Arnos stieg in das Boot. Er spürte die leicht schwankenden Planken unter seinen Füßen. Die Augen hatte er zusammengekniffen. Für einen Moment stand er im Dunkeln. Er fror, er ergab sich seinen Gedanken. Er wußte, daß der Schlüssel zum Portal des Palazzo in seiner Tasche steckte, und er merkte, wie die Angst wuchs.
    Sie nahm immer dann zu, wenn er an den Palazzo dachte.
    Was erwartete ihn dort?
    Der Tod? Der Blutspuk?
    Beides konnte er sich nicht vorstellen, und doch hätte er sich nicht gewundert, wenn der Tod als monströses Skelett wie ein Schatten über dem Häusermeer dahingeschwebt wäre.
    Venedig liegt im Sterben, dachte er, und auf mich wartet der Blutspuk…
    ***
    Der Palazzo Ferrini!
    Ein altes Gebäude, das bereits große Zeiten erlebt hatte, als die Dogen von Venedig noch zu den Herrschern des Mittelmeeres gehörten und auch die Familie Ferrini in ihrem Palazzo große Feste gefeiert hatte.
    Doch diese Zeiten waren vorbei.
    Das herrschaftliche Haus am Canale Grande stand leer. Niemand wollte es mehr haben. Die Venezianer wehrten ab, wenn darauf die Sprache kam. Andere zuckten zusammen und bekreuzigten sich, wenn sie den Namen nur hörten, denn es gab Dinge, mit denen man besser nichts zu tun haben wollte. So blieb es nicht aus, daß der Palazzo verfiel, daß das salzige Wasser seine Furchen immer tiefer in die Außenhaut hineingrub und auch das prächtige Innere allmählich verfiel.
    Die herrlichen Räume, die jetzt leer standen. Die Decken mit ihren Fresken, die kunstvollen Malereien an den Wänden, die den Grauschleier der Spinnweben bekamen, all das zeugte vom Untergang dieses einst so prächtigen Bauwerks, das nicht weit von der weltberühmten Rialto-Brücke entfernt lag.
    Der Landesteg war noch vorhanden, sah allerdings ziemlich marode aus.
    »Wir sind da,
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