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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Betonmixer spielen. Auf
zitternden Beinen stand Lázlo und entdeckte eine Plastiktüte mit seinen Klamotten.
Das musste seine Mutter gewesen sein – manchmal war sie ja doch zu etwas nütze. Er
schlüpfte in Jeans und T-Shirt – mehr brauchte es nicht. Der Sommer hatte dieses
Jahr seine Tür gewaltsam aufgebrochen: Seit Anfang Juni brannte die Sonne auf
Budapest herab. Jetzt noch die Schuhe. Lázlos Hände zitterten. Nur weg hier, dachte
er. Nur weg.
    »Ist Doc Psycho endlich fort?«, tönte eine junge, im Stimmbruch
kieksende Stimme. »Hoffentlich hat er dich nicht mit seiner Ich-versteh-dich-Nummer
eingewickelt.«
    Lázlo kannte den Jungen nicht, der sich ins Zimmer geschlichen haben
musste – gehört hatte er ihn jedenfalls nicht. Klein, stoppelkurze schwarze Haare,
vielleicht etwas jünger als Lázlo.
    »Wer bist du denn?«
    »Man nennt mich Janosch.«
    Lázlo stöhnte auf. War heute der Tag der Cineasten? Oder warum redeten
alle wie Schauspieler? »Toll, Janosch. Und was willst du?«
    »Das gleiche wie Doc Psycho.« Der Junge grinste. Dabei schob sich, wie
Lázlo merkte, seine Oberlippe merkwürdig zusammen, sodass kleine senkrechte Falten
entstanden. Ein Schauer lief Lázlo über den Rücken: Das sah ziemlich unheimlich aus,
denn durch diese winzigen Falten unter der Nase verwandelte sich das Gesicht in das
eines uralten Mannes. Ein Greis, kein Junge.
    »Dir helfen«, sagte Janosch und lachte. »Nur weiß ich viel besser, was
abgeht. Was wirklich funktioniert.«
    »Ach ja? Ich hab dich noch nie gesehen.«
    »Ich dich auch nicht, Lázlo. Aber ich kenne dich trotzdem. Wir achten
auf unsere Leute.«
    Wieder das Greisen-Grinsen. Lázlo schüttelte sich. Woher kannte dieses
kleine Frettchen seinen Namen? »Ich muss los«, sagte er nur.
    »Warte!« Janosch packte ihn am Arm, sein Griff war fest. Tat weh.
»Glaub mir, Lázlo, ich weiß genau, wie es ist. Und ich weiß, was dir hilft. Sich
selbst die Lebens-Taue zu kappen hat erstens keinen Stil und bringt zweitens nichts.
Du bist ja nicht an der ganzen Scheiße schuld. Es nutzt gar nichts, dir selbst
wehzutun.«
    »Ach ja? Und was hilft dann?« Lázlo riss sich los und stapfte zittrig
zur Tür. Aus den anderen Betten des Krankenhauszimmers schauten neugierige Gesichter
zu ihnen herüber.
    »Nicht dir musst du wehtun, Lázlo. Sondern den anderen.«
    * Mit *
gekennzeichnete Begriffe werden im Anhang am Ende des Buches erläutert.

2
    Samstag, 30. Juli, eine Woche später
    13.15 Uhr, Railjet Wien–Budapest
    »Kö-szö-nöm-szé-pen«, buchstabierte Lena zum zehnten Mal. »Köszönöm szépen. Das schaff ich nie.«
    »Das letzte e wie ein ä, mein Schatz«, korrigierte ihr Vater. »Ansonsten perfekt.«
    Sie probierte es noch einmal, bis es einigermaßen richtig klang. So ähnlich wie
Kößönöm ßepän
. Dann zuckte sie mit den Achseln und warf den Reiseführer in ihren Rucksack zurück. »Ungarisch werd ich schon mal nicht lernen«, murrte sie und schaute aus dem Zugfenster. »Wenn schon ein einfaches Wort wie ›danke‹ so schwierig ist, habe ich keine Chance.«
    Emil Meinrad, Leiter der geologischen Abteilung im Wiener Naturkundemuseum, berühmtester Höhlenforscher Österreichs, begeisterter Sporttaucher und außerdem Lenas Papa, lachte auf. »Geduld ist keine Eintagsfliege, sie lag mir auch nicht in der Wiege …«
    »… und macht bei mir gleich stets die Biege«, vollendete Lena den albernen Reim. Ihre Mutter hatte sich dieses Nonsensgedicht ausgedacht, als Lena noch ganz klein war. Und die ganze Familie dichtete bis heute munter weiter.
    »Wie weit ist es noch?«, fragte Lena jetzt.
    »Halbe Stunde vielleicht. Du wirst Budapest lieben.«
    »Hm.« Lena pustete eine ihrer kurzen Haarsträhnen von der Stirn. Was hatte sich ihre Ma aufgeregt, als ihre blonden, langen Haare der Friseurschere zum Opfer fielen. Aber so war es einfach viel praktischer. Vor dem Fenster flog die Landschaft vorbei; die Sitze im Abteil vibrierten.
    »Jetzt erzähl doch mal«, forderte Lena ihren Vater auf, »um was es eigentlich genau geht. Bis jetzt weiß ich nur, dass in einem Budapester Thermalbad Rotalgen aufgetaucht und ein paar alte Badekappen in Panik ausgebrochen sind.«
    »Viel mehr weiß ich auch nicht.« Emil Meinrad klappte seine Lunchbox auf und betrachtete traurig das leere Plastik­innere. Sein letztes Käsebrot hatte er schon vor einer halben Stunde verdrückt. »Das Gellért-Bad, so heißt die Therme, wird direkt aus den Höhlen unterhalb des Budaer Bergs
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