Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser
Autoren: Jonas Torsten Krueger
Vom Netzwerk:
»Wie geht’s dir?«
    Lázlo stöhnte auf. Diese kleine Nervensäge war in der letzten Woche immer wieder aufgetaucht, hatte ihn vollgelabert, einen auf bester Kumpel gemacht und von seiner Clique geschwärmt, einer Bruderschaft, die alles besser machen und ihm helfen könnte.
    »Mann, Janosch, hau ab.« Lázlo schob ihn zur Seite.
    »Warum denn? Gib uns doch ’ne Chance.«
    »Verpiss dich. Ich brauche eure tolle Bruderschaft nicht.«
    Lázlo schob sich an dem Jungen vorbei und nestelte den Wohnungsschlüssel aus seiner Jeans.
    »Wirklich nicht?« Janosch grinste sein Greisen-Grinsen. »Warum schaust du dir nicht einfach an, wer wir sind und was wir machen?«
    »Weil ich keine Lust habe.«
    »Und vielleicht Angst?« Janosch lachte jetzt, laut und quiekend. Blechbläser und Trommeln lärmten weiter aus der Nachbarwohnung.
    Lázlos Hände zitterten, aber er schwieg.
    »Für einen Selbstmörder«, sagte Janosch leise, »hast du wirklich erstaunlich viel Schiss.«
    »Hau ab!«
    Janosch hielt ihm einen Zettel hin. »Heute Abend um elf. Auf dem Burgberg, am Reiterdenkmal Prinz Eugens. Ich werde auf dich warten.«
    »Viel Spaß dabei!«
    Endlich fand sein Schlüssel das Türschloss. In seinen Rücken hinein raunte Janosch: »Die
Fekete Sereg
braucht dich, Lázlo.«
    »Die Schwarze Armee? Klingt bescheuert«, murmelte Lázlo in die Tür.
    Janoschs Augen blitzten auf. »Vorsicht, Junge. Die Schwarze Armee * hat eine lange Tradition. Sie kämpfte für Ungarn. Sie kämpfte für uns.« Janosch tätschelte noch einmal Lázlos Schulter und wandte sich dann ab. »Bis heute Nacht, Soldat. Und grüß deine Mutter von mir.«
    13.48 Uhr, Westbahnhof
    »Ist das warm!« Lena wischte sich Schweißtropfen von der Stirn und zerrte ihren Koffer hinter sich her.
    »Budapest hat gemäßigtes Kontinentalklima, mein Schatz: kalte Winter und heiße Sommer.«
    »Danke für die Vorlesung, Papa.« Sie drängte sich weiter durch die Reisenden, die an den Gleisen entlangliefen oder Küsschen und Umarmungen verteilten. Der Budapester Westbahnhof * brummte wie ein Bienenstock: Lautsprecher krächzten, der fremde ungarische Zungenschlag schnalzte sich durch die Menge, Gepäckwagen huschten umher. Nur die schwüle Sommerluft rührte sich nicht, sondern hockte träge über den Menschen. Die Halle des Kopfbahnhofs war groß: Lenas Blick glitt über die alten, mit Türmchen und Säulchen geschmückten Ticketschalter aus dem 19. Jahrhundert und zu den armen, schlanken Trägern aus Stahl, auf deren Schultern der riesige Glaskasten lastete. Sie wollte raus aus dem stickigen Gedränge und ging schneller.
    »Du rennst durch eine Sehenswürdigkeit von Budapest«, lachte ihr Vater. »1877 gebaut von Gustave Eiffel.«
    »Der mit dem Turm?«
    »Exakt. Jetzt warte doch mal. Wir werden abgeholt von Professor Radelodz. Lena!«
    Aber die hatte weiter vorn im Hauptgebäude ein erlösendes gelbes M erblickt. Das war jetzt genau das Richtige: eine eiskalte Cola direkt von McDonald’s.
    Aber bevor Lena ins Paradies aufsteigen konnte, schoben sich zwei Männer in grauen Jacketts an sie und ihren Vater heran.
    »Herr Emil Meinrad?«, fragte der eine in holprigem Deutsch.
    Lenas Vater nickte. »Ja. Professor Radelodz, nehme ich an. Ich freue mich, Sie zu sehen und …«
    »Nem«, sagte Graujackett Nummer zwei. Und das zumindest hatte Lena sich mittlerweile gemerkt: »Igen« hieß ja, und »nem«, nun, das hieß nein.
    »Ich bin Kommissar Frenyczek«, erklärte der Erste. »Herr Meinrad, wir sind von der Kriminalpolizei. Wenn Sie uns bitte folgen würden …«
    14.31 Uhr, Stadtteil Óbuda, Wohnsiedlung Faluház
    Lázlo hockte in seinem Zimmer und ließ ungarisches Heavy Metal gegen die Marschmusik des Nachbarn anhämmern. Moby Dick, seine Lieblingsband, gewann natürlich die Schlacht. Aber als Nebeneffekt drehte seine Mutter den Fernseher lauter, weshalb Lázlo natürlich weiter hochregeln musste. Was ebenso natürlich dazu führte, dass auch der Nachbar sein Rumtata um einige Dezibel erhöhte.
    Die Hölle, dachte Lázlo. Ich bin doch gestorben, vor einer Woche, in der Badewanne. Ich bin schon tot, bin längst in der Hölle. Er presste die Handflächen auf seine Augen und schluckte. Durch das Fenster blendete Sommersonnenlicht. Der Gestank von Mamas Zigaretten kroch durch die Ritzen seiner geschlossenen Zimmertür. Von rechts und links dröhnte der Krach.
    Lázlo kapitulierte als Erster, griff sich den wackligen Kopfhörer und stöpselte ihn ein, senkte den Vorhang aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher