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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Republik. Klang doch auch ganz lässig.
    Oder?
    Plötzlich fröstelte sie trotz der Hitze. Vielleicht war das hier ja doch kein lustiges Spiel. Kommissar Frenyczek, Grau 1, hatte eindringlich vor der Gefahr eines Terror-Anschlages gewarnt. Irgendjemand habe äußerst professionell die Filteranlage des Gellért-Bades ausgeschaltet und den Zustrom des verfärbten Quellwassers ermöglicht.
    »Aber nicht innerhalb des Badekomplexes«, hatte Frenyczek gesagt. Der Ursprung des Farbstoffs lag tiefer. »Unsere Polizeitaucher konnten der Spur im Wasser noch ein paar Meter weit folgen, aber sie waren zu spät dran. Irgendwo dort, in den Wasserhöhlen unter Budapest, könnte eine neue Zeitbombe ticken.«
    Ticktack. Tick, Trick und Track, Schabernack, reimte Lena.
    Sie döste vor sich hin. Handy oder Fernbedienung? Eigentlich war sie ziemlich müde. Der Kommissar hatte etwas von einem Bekennerbrief gesagt, ihnen aber keine Einzelheiten mitgeteilt. Er bat sie nur, genau das zu machen, weshalb ihr Vater nach Budapest gekommen war: den Ursprung der Farbe im Gellért-Bad zu finden. Ob Rotalgen oder künstlicher Farbstoff sei ja egal. Emil Meinrad und seine Tochter sollten durch die Höhlen von Budapest tauchen und ihre Rätsel lösen – im Geheimdienst Ihrer ungarischen Republik. Nach dem langen Gespräch mit den beiden Kommissaren waren sie mit einem gelben Taxi zur Universität gefahren. Und wieder hatte Lena von Budapest nur breite Straßen, hohe, große Häuser und viele Autos gesehen. An der Uni hatten sie sich endlich mit Professor Radelodz getroffen und lange über verschiedenen Querschnitten und Computeranimationen der Budapester Unterwelt gebrütet: Unter dem Burgberg in Buda zogen sich Kilometer um Kilometer geflutete Höhlen und Gänge durch den Fels. Viel zu tun, dachte Lena. Ticktack. Quietsch, quietsch. Das Transistorradio draußen spielte eine traurige Geigenmelodie. Lenas Augen fielen zu.
    Sie schlief.
    23.15 Uhr, Burgberg
    Lázlo atmete die Nacht ein und wieder aus. Er wünschte sich, seine eigene Dunkelheit genauso leicht ausatmen zu können – wegpusten den ganzen Dreck. Ein kleiner Windstoß aus seinem Mund, der die Kerze ausbläst. Ein Licht, das ohnehin seit Jahren nur vor sich hin glomm.
    Der Burgberg * war steil, aber Lázlo war, wie jeder Budapester, den Aufstieg gewohnt. Früher hatte er zu seinen Schritten diese Treppe hinauf immer »Buda« und »Pest« gemurmelt, gesungen, gerufen. Budapest * , die einstmals zweigeteilte Stadt, war irgendwann eins geworden. »Buda«, eine Treppenstufe. »Pest«, die nächste.
    Lázlo hatte schon lange damit aufgehört.
    Die Nacht war mondlos, der Sternenhimmel flatterte. Viele Leute waren unterwegs, die größte Stadt Ungarns schlief selten und der Sommer gehörte den Nachtschwärmern. Oben am Schloss tummelten sich Touristen und Einheimische, alte Säufer und neu Verliebte, große Kinder und kleine an den Händen ihrer Eltern. Lázlo drängte sich an ihnen vorbei und grüßte, als er endlich den Burgberg-Gipfel erreicht hatte, den bronzenen Turul * . Dieser Vogel wachte über die Stadt, hockte steinern auf Dachfirsten oder in Metall gegossen auf Brückenbögen: Budapests mystischer Beschützer, der Sagenvogel Turul. Lázlo stieg schließlich die letzten Treppen hinauf, die zur Burgterrasse führten, keuchte jetzt doch ein bisschen und drehte sich endlich um: Trotz allem verschlug ihm dieser Anblick immer noch den Atem. Er schaute hinab. Budapest und die Nacht, ja doch, das gehörte zusammen. Erst in der Dunkelheit schickte die Stadt ihren ganzen Zauber in die Augen des Betrachters. Lázlo starrte hinunter: Der Burgberg schob sich immerhin 90 Meter in die Höhe – man schaute von hier wie von einem Kirchturm hinab. Unten lag die dunkle, leicht gekrümmte Schlange der Donau * , aber hinter ihr erhob sich ein glitzernder Kosmos, als wollte Budapest heller und schöner strahlen als jeder Sternenhimmel über ihr. Die Brücken der Stadt leuchteten sanft, das Parlament strahlte im Licht der Scheinwerfer wie buntestes Zuckerwerk für Riesen, und die Kuppel der Sankt-Stephans-Basilika glich einem aus dem Häusermeer herauswachsenden Leuchtpilz. Pest funkelte zu Lázlo herüber, zu ihm herauf.
    Er war nicht gesprungen. Viel hatte zwar nicht gefehlt, weiß Gott, weit hatte er sich hinausgelehnt aus dem Fenster und die römischen Säulen acht Stockwerke unter sich rufen hören. Schwindel hatte ihn gepackt, die Versuchung war groß gewesen, lockend und schön. Aber er konnte
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