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Blutrotes Wasser

Blutrotes Wasser

Titel: Blutrotes Wasser
Autoren: Jonas Torsten Krueger
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Zauberort
vergangener Zeiten, verwandelte sich in ein Haus der Panik. Alles drängte hinaus,
immer hektischer bewegten sich die Menschen, schoben sich, rufend und schreiend, aus
dem Becken. Auch Géza bewegte sich jetzt, rückwärts watete er durch das Wasser.
»Komm schon, Imre, was immer das ist, hau ab!«
    Und endlich erkannte auch Imre, was die Menschen im Gellért-Bad
erschreckte. Es sah aus wie Nebel, der unter Wasser durch das Becken kroch. Es sah
aus wie eine Qualle, die größer und größer wurde, bis sie das gesamte Schwimmbad
ausfüllte. Es sah aus wie Blut. Als würde sich das gesamte Wasser des Beckens
langsam verwandeln in dickes, bösartiges Rot. Imre schob sich hindurch, bis er die
Kacheln am Rand spürte. Brüllend standen die Menschen am Rand, starrten in das
seltsam verfärbte Wasser. Erleichtertes Lachen, als ihre Augen nichts fanden. Keine
blutende Leiche, kein treibendes Opfer. Imre sah, wie das Wasser Wellen schlug, rot
und zähflüssig, er sah, wie eine letzte große Welle über ihr Schachbrett schwappte
und Gézas König zu Fall brachte. Schachmatt also doch.
    Der König schaukelte auf dem roten Wasser.
    Und trieb davon.
    13.40 Uhr, Szent-Kodály-Krankenhaus
    »Hallo, Lázlo. Ich bin Doktor Anday.«
    »Wann kann ich endlich hier raus?« Lázlo starrte den kleinen Mann im
weißen Kittel an: Brille, Halbglatze und ein Grinsen im Gesicht – ein Arsch wie alle
anderen.
    »Wenn ich es sage«, antwortete Arsch, und sein Lächeln schnitt sich
noch tiefer in die Wangen.
    Lázlo schnaufte. Reiß dich zusammen, sagte er sich, Erwachsene wollen
immer die Chefs sein. Kontrollfreaks allesamt. Spiel den braven Jungen, Lázlo. Sag
ihm einfach, was er hören will. Aber das war schwer. Sehr schwer. »Und?«, fragte er
schließlich.
    Dr. Anday zuckte mit den Schultern und trat einen Schritt näher an das
Krankenhausbett. Eine Wolke Shampoo-Duft im Schlepptau. Pfirsich, schnupperte
Lázlo.
    »Medizinisch«, sagte Arschgesicht lächelnd, »kannst du sofort gehen.
Aber …« Pause. Gott, wie Lázlo diese melodramatischen Pausen der Erwachsenen hasste,
die sie immer einlegten, bevor ihre Weisheiten sprudelten. Eine Pause, damit auch
der letzte Idiot kapierte: Achtung, gleich kommt das Wichtigste.
    »… psychologisch gesehen bin ich mir da ganz und gar nicht
sicher.«
    Lázlo unterdrückte ein Stöhnen. Aber auch das war schwer. »So eine Art
Doktor sind Sie …«, presste er hervor.
    Anday nickte. »Der Psychologe des Hauses, ja.« Seine Augen funkelten.
Oder waren es nur die Brillengläser? Der Arzt kam noch einen Schritt näher. Sagte
nichts.
    Lázlo schluckte schwer – seine Kehle tat immer noch höllisch weh. »Ich
weiß, ich hab Mist gebaut«, sagte er.
    Anday schwieg.
    »Ich … bin durchgedreht. Keine Ahnung, was passiert ist, aber jetzt
bin ich wieder in Ordnung.«
    Keine Antwort.
    »Ich war verzweifelt«, machte Lázlo weiter und legte so viel
Überzeugungskraft wie möglich in seine Stimme. »Wissen Sie, weil alles
schiefgelaufen ist. Aber jetzt ist mir klar, dass dieser Weg, äh, keine Lösung
ist.«
    Der Arzt kam noch näher heran, die Brille reflektierte Licht, das
Grinsen zuckte keinen Millimeter.
    »Es …« Lázlo brachte die Wörter kaum über die Lippen. »… tut mir
schrecklich leid.«
    Doktor Anday nickte. »Hör mir zu, Lázlo«, sagte er leise. »Die Ärzte
hier haben deinen Magen ausgepumpt, weil sie dachten, du hättest auch noch Tabletten
geschluckt. Sie haben in deinem Blut mehr als drei Promille Alkohol gemessen und
deine Handgelenke wieder zusammengenäht. Sie haben dir, verflucht noch mal, das
Leben gerettet. Also versuch nicht, mich zu verschaukeln.«
    Mist. Doktor Arsch war nicht dumm. »Ich habe es ehrlich gemeint«,
sagte Lázlo und blickte möglichst zerknirscht.
    »Ich erkenne«, entgegnete Anday ungerührt, »einen Lügner, wenn ich
einen sehe.«
    »Klingt wie ein Filmzitat.«
    »Ist es auch.« Anday machte einen letzten Schritt, beugte sich über
ihn und seufzte. »Also, Lázlo. Ich könnte dir helfen. Selbstmordversuche in der
Pubertät, das gibt’s häufiger, als du vielleicht denkst. Du musst dich nicht
schämen.«
    Lázlo starrte ihn an, und sein Herz war eine Betonmischmaschine. Als
er klein war, hatte er diese Dinger stundenlang auf Baustellen beobachtet, diese
sich drehenden Trommeln mit Beton drin, grau und dünnflüssig. Genauso drehte sich
jetzt sein Herz, immer wieder um und um, schleuderte die Gefühle im Kreis:
Verzweiflung, Wut, Angst. Lázlo konnte nur
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