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Blutportale

Blutportale

Titel: Blutportale
Autoren: Markus Heitz
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losrennen, den Blick nach unten gerichtet, damit sie so wenig wie möglich von dem Horror um sich herum mitbekam, und immer dem Ton folgend.
    Es ging durch einen Korridor in ein weiteres, großes Zimmer, mehr eine Vorhalle, wie sie annahm. Der Teppich, über den sie lief, war sehr dick und musste teuer sein; das aufwendige Muster war hübsch, und sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren, um all das Schreckliche, was sie um sich herum vermutete, ausblenden zu können. Doch dann unterbrach etwas die Unendlichkeit des Musters: Blutspuren, Spritzer und verschieden große Flecken bildeten eigene Formen, die gegen das Teppichmuster verliefen.
    »Mein Gott«, ächzte sie, wich dem schrecklichen Hindernis aus und folgte dem Klingeln stolpernd bis zu einer angelehnten Tür.
    Dahinter war das Telefon!
    Sie schluckte, stand zögernd vor der Klinke und schaute sich selbst zu, wie sie die Hand danach ausstreckte, obwohl alles in ihr Nein schrie. Sie traute sich nicht, auf die andere Seite zu gehen. Welcher Anblick wartete dort auf sie? Würde sie noch mehr ertragen können? Ein Zittern breitete sich in ihr aus, ihr wurde schlagartig kalt. Sie konnte das Beben nicht länger unterdrücken; jede ihrer Gliedmaßen vibrierte in hoher Frequenz.
    Rrrring!
    Sie müsste lediglich die Tür öffnen, über die Schwelle treten und abnehmen ... den Anrufer anflehen, um Beistand bitten und warten, bis die Helfer kamen ...
    Rrrring. Das Telefon klingelte noch immer.
    Ihre Finger krampften sich um die Klinke, die sich in ihrer Hand erwärmte.
    Sie erstarrte, als das nächste Klingeln ausblieb; stattdessen erklang ein elektronisches Klicken, und eine melodische, tiefe Männerstimme sagte: »Sie haben meine Nummer gewählt, aber anscheinend bin ich gerade beschäftigt. Hinterlassen Sie Ihre Nachricht und Ihre Nummer. Vielen Dank.«
    Dann piepste es.
    »Nein, nein! Dranbleiben! Dranbleiben!« Die Aussicht, dass der Anrufer auflegen könnte und sie wieder allein in diesem Haus war, verschaffte ihr den nötigen Mut, die Tür aufzustoßen und hineinzustürmen.
    Nach zweieinhalb Schritten musste sie stehen bleiben: Was sie sah, folterte ihren Verstand. Wo auch immer sie hinschaute, überall erwartete sie ein Anblick, der sie zum Schreien brachte und einen Würgereflex hervorrief.
    Sie richtete den Blick schnell weg vom Erdgeschoss, von den Greueln hinauf zur rettenden Decke. Das riesige Zimmer war acht Meter hoch, eine geschwungene Freitreppe aus hellem Marmor führte in den oberen Bereich, von dem aus man wie von einem herrschaftlichen Balkon nach unten blicken konnte.
    Sie wusste unvermittelt: Dort hatte der DJ seine Mischpulte und seine ganze Ausrüstung aufgebaut, eine kleine Bar befand sich ebenso da oben wie ein Chill-out-Bereich in weißem Leder. Als sie sich zwischen den Gästen im ersten Stockwerk bewegt hatte, waren etwa zehn Leute dort gewesen. Jetzt sah sie lediglich eine Hand zwischen den hölzernen Gitterstäben der Empore herausragen. Am Zeigefinger haftete eine rote Blutperle, die sich beharrlich der Schwerkraft widersetzte.
    Gebannt verfolgte sie, wie der Tropfen lang und länger wurde, bis er wie in Zeitlupe schließlich doch nach unten stürzte und mit einem überdeutlich vernehmbaren Geräusch in einer Blutlache einschlug. Die sanften Wellen, die er durch sein Eintauchen auslöste, zitterten gegen eine verstümmelte Leiche -eine von so unendlich vielen in diesem Raum!
    Es fiepte laut, und sie schrak zusammen.
    »Vielen Dank«, sagte die Männerstimme. »Ich rufe Sie vielleicht zurück, wenn Sie gutes Karma haben. Die Götter seien mit Ihnen.«
    Während die letzten Worte verklangen, wurde ihr Blick von etwas zu ihrer Linken angezogen. An der Wand erhob sich eine zwei Meter hohe Statue, die einige rote Spritzer abbekommen hatte, und schaute ungerührt aus den Bronzeaugen auf die Toten hinab. Kali, erkannte sie, die Göttin des Todes! Fast schien es, als wäre sie für dieses Massaker verantwortlich. Als sei sie von ihrem Sockel gestiegen, mit ihren vielen Armen und ihrem Dolch durch die Menge gerast und habe wahllos getötet.
    Die letzten Reste ihres klaren Denkens setzten aus. Der Fluchtinstinkt ließ sie zurückweichen, zurück in die Vorhalle, dann rannte sie tränenblind und verstört durch das Haus, vorangepeitscht von blanker Panik. Auf einmal schien es um sie herum zu flackern. Alles, was sie sah, wurde in helles Blau getaucht, das waberte, wie eine Flammenwand wallte und auch ihr entgegenbrandete, um sie lautlos zu
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