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Blutportale

Blutportale

Titel: Blutportale
Autoren: Markus Heitz
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Name bis an die Oberfläche ihres Verstands: »Patrick«, schrie sie mit überschlagender Stimme, ein Ruck ging durch ihren Körper - und doch konnte sie sich nicht überwinden, nach vorn zu kriechen. Mit dem Rücken gegen die merkwürdig warme Wand gepresst, hockte sie da und atmete viel zu schnell.
    Es war der Gestank des Todes, der sie schließlich von ihrer Erstarrung befreite; er klebte überall an ihr, und sie riss sich die blutgetränkte Kleidung panisch vom Leib. »Hilfe«, brüllte sie verzweifelt. »Hilfe! Ist denn niemand hier?« Der Hall gab ihrer Stimme etwas Fremdes, Unheimliches. Sie hatte plötzlich das Gefühl, nicht allein in der Dunkelheit zu sein. Wieder war es die Angst, die sie antrieb. Sie sprang unbeholfen auf, rannte in einem Bogen an dem zerstückelten Leichnam vorbei und riss die Tür auf, um in die zuckende Helligkeit zu treten. Eine der vollgesogenen Mullkompressen, die mit Tape an ihrem Oberkörper befestigt waren, löste sich. Sie beachtete es nicht.
    Sie stand in einem fensterlosen Gang, der etwa zwei Meter breit war; an den Wänden hingen abstrakte Bilder. Das Grün darauf bildete einen Kontrast zu den zahlreichen dunklen Blutspritzern, die sich auf dem beigefarbenen Putz abzeichneten und daran herabliefen. Die getönten Lampen im Gang flackerten und erzeugten dieses gewitterartige Licht.
    Sie hielt unwillkürlich den Atem an, als sie nicht weit vor sich einen Mann und eine Frau auf dem Boden liegen sah, der Herr im Smoking, die Dame im hellgrünen Abendkleid. Die Körper waren wie mit einem gigantischen Skalpell in mehrere Teile geschnitten worden. Ihr erster bizarrer Gedanke war, dass das Blut die beiden umgab wie ein unvollständiger Soßenspiegel aus Erdbeersirup. Dann strömte unsagbares Entsetzen in sie hinein. Sie rannte wimmernd in die entgegengesetzte Richtung davon, weg vom surrealen Tod, strauchelte, rutschte und musste sich immer wieder abstützen. Sie nahm nicht wahr, dass sie von Kopf bis Fuß mit Blut beschmiert war, doch ihre Handabdrücke blieben an den Wänden und Türrahmen haften.
    Unvermittelt stand sie in der Küche, die derart sauber und weiß vor ihr lag, dass sie ungläubig und hysterisch auflachte. Das Zimmer war aufgeräumt, alles stand an seinem Platz und wartete darauf, von einem Koch benutzt zu werden. Auf der Anrichte stand ein mit Zellophan umhülltes Tablett voller Canapes.
    Die Sauberkeit der weißen Kacheln und der Anrichte täuschte Unberührtheit vor, als hätte das Verderben vor der Schwelle haltmachen müssen. Es war ein anderes Universum. Mit einem Mal hatte sie das Gefühl, in Sicherheit zu sein, und das Gefühl ließ sie ebenso straucheln wie kurz zuvor noch das Entsetzen.
    Die Polizei, zuckte ein Gedanke durch ihren Kopf, ich muss die Polizei rufen, damit sie mich aus diesem Alptraum befreit. Sie wollte keinen Schritt mehr aus der rettenden Küche tun. 
    1-1-0.
    1-1-0.
    Zwei kleine Ziffern, dreimal tippen. Es klang so einfach.
    Aber ihr Handy war dort, wo sich ihre Kleider befanden. In dieser Kammer ... Schluchzend wankte sie weiter in die Küche hinein und sank an einem Schrank nieder, legte die Hände schützend vors Gesicht - und atmete dadurch den Geruch, der von ihren Fingern ausging, intensiv ein: den metallenen Duft genommenen Lebens.
    Sie schreckte davor zurück, stieß sich dabei den Kopf am Schrank, ohne es zu bemerken, und betrachtete ihre Hände: Sie waren tiefrot und glitzerten feucht. Patricks Blut!
    Würgend übergab sie sich, immer und immer wieder, bis nichts mehr kam. Hustend und weinend zog sie sich an der Arbeitsplatte in die Höhe. Noch immer weigerte sich ihr Verstand, Informationen aus den vergangenen Stunden preiszugeben. Wollte sie die überhaupt noch? Erst jetzt bemerkte sie die Geräusche, die aus der Welt des Grauens zu ihr in die schützende Helligkeit der Küche drangen: Telefone läuteten mit verschiedenen Melodien und aus unterschiedlichen Entfernungen. Die Töne gingen ineinander über und schwebten verhallend durch den Raum.
    Sie zuckte mit einem unterdrückten Schrei zusammen, riss die Augen weit auf und lauschte mit angehaltenem Atem. Die Rettung!
    Ein nostalgischer Schellenton war ihr am nächsten. Er befand sich außerhalb der sicheren Küche, doch jedes Rrring lockte und gab ihr Hoffnung auf Erlösung - wenn sie den Hörer abnahm und ihre Ängste hineinschrie.
    Dazu musste sie den Raum verlassen. Den sicheren weißen Raum ... Sie atmete wieder schneller, roch das Blut. Das nächste Klingeln ließ sie
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