Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutnacht

Blutnacht

Titel: Blutnacht
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
mit irgendjemandem. Davor konnte er immer über alles reden. In unserer Familie gab es keine Tabuthemen. Oder zumindest dachte ich das.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »So war es auch, Liebling«, sagte Bob. »Mit etwas von dieser Größenordnung kann man nicht rechnen.«
    »Seit wann arbeiten Sie schon mit ihm zusammen?«, fragte Mary.
    »Ein paar Monate.«
    »Ich möchte wetten, dass er nicht viel redet, nicht wahr?«
    »Nein, Ma’am.« Vor Petras geistigem Auge erschien plötzlich ein Bild: Erics schmerzerfüllter Gesichtsausdruck nach dem Gespräch mit Onkel Randolph Drummond. Eric hatte den Mann von Anfang an nicht leiden können. Ein Säufer, der seine Familie bei einem Autounfall getötet hatte.
    Mary Stahl sagte: »Und jetzt das. Ich weiß nicht, wie sich das hier auf ihn auswirken wird.«
    »Er wird wieder gesund«, sagte Bob. »Wer weiß, vielleicht bringt es ihn dazu, gesprächiger zu werden.«
    »Vielleicht«, erwiderte Mary zweifelnd.
    »Jetzt im Moment ist die Hauptsache, dass er gesund wird, meine Liebe.«
    »Er ist oft so deprimiert«, sagte Mary. »Wir müssen etwas unternehmen.« An Petra gewandt: »Haben Sie Kinder?«
    »Nein, Ma’am.« »Eines Tages vielleicht«, sagte Mary. »Eines Tages werden Sie das Gefühl vielleicht kennen lernen.«
    Sie blieb noch drei Stunden bei den Stahls sitzen. Als der Tag anbrach, verschwanden die Eltern für eine Stunde, um einige persönliche Anrufe zu erledigen.
    Petra betrat die Intensivstation.
    Eine Schwester sagte: »Es geht ihm schon viel besser, Detective. Es ist wirklich erstaunlich. Seine Lebenszeichen sind gut, seine Temperatur ist nur leicht erhöht. Er muss wirklich in einer tollen Verfassung gewesen sein.«
    »Ja«, erwiderte Petra.
    »Cops«, sagte die Schwester. »Wir mögen euch sehr, und wir finden es schrecklich, wenn so etwas passiert.«
    Petra sagte: »Danke – kann ich reingehen?«
    Die Schwester warf einen Blick durch das Glas. »Klar, aber ziehen Sie einen Kittel an, und ich zeige Ihnen, wie Sie sich die Hände waschen.«
    In einem Kittel aus gelbem Papier trat sie an Erics Bett. Er war vom Hals bis zu den Zehenspitzen verhüllt, mit mehreren intravenösen Schläuchen und Kathetern verbunden, und hinter ihm stand eine Reihe von High-Tech-Apparaten.
    Augen geschlossen, Lippen leicht geöffnet. Sauerstoffschläuche kamen aus seiner Nase.
    So verletzlich. Jung.
    Da die Wunde verdeckt war, sah er okay aus. Wenn man sich die Apparate wegdachte, hätte er auch friedlich schlafen können.
    Sie legte eine behandschuhte Hand auf seine Finger.
    Seine Gesichtsfarbe war besser. Immer noch blass – blass war bei ihm der Normalzustand aber nichts von diesem unheimlichen Grün an den Rändern.
    »Du hast ein Abenteuer hinter dir«, flüsterte sie.
    Eric atmete gleichmäßig weiter. Seine Lebenszeichen blieben stabil. Keine dramatische Reaktion à la Film der Woche auf den Klang ihrer Stimme. Er konnte sie nicht hören. Was ganz in Ordnung war.
    Kein schlecht aussehender Typ, wenn man erst mal hinter die Fassade geblickt hatte.
    Sie hatte ihn für verschroben gehalten, und jetzt wusste sie, dass er ebenfalls ein Opfer war.
    Das Leben war wie ein Prisma; was man sah, hing davon ab, wie man das Glas drehte.
    Seine Mutter hatte ihn als depressiv beschrieben. Manchmal fochten depressive Leute es mit der Polizei aus, wollten allem ein Ende setzen, hatten aber nicht den Mut dazu und hofften darauf, dass die Polizei ihnen die Arbeit abnahm.
    Selbstmord durch Cop nannte man das.
    Hatte sich Eric für einen Selbstmord durch Übeltäter entschieden?
    Ein erfahrener Mann wie er – die ganze Ausbildung bei den Special Forces –, wie hatte er sich von einem Blödmann wie Shull mit einem Messer übertölpeln lassen können?
    Sie geriet ins Grübeln.
    Blickte auf ihn hinab.
    Ganz und gar kein schlecht aussehender Typ. Hübsch, gewissermaßen. Sie versuchte ihn sich jünger vorzustellen, gebräunt, locker, wie er über die Wellen ritt.
    »Eric«, sagte sie, »du wirst hier wieder rauskommen.«
    Keine Reaktion. Genauso wie im Auto, wenn sie zusammen unterwegs waren.
    Petra streichelte seine Finger und spürte die Wärme durch ihre Latexhandschuhe.
    »Sie werden definitiv hier rauskommen, Detective Stahl. Und dann werden wir beide miteinander reden.«

52
    Allison und ich lagen nackt auf ihrem Bett. Meine rechte Hand ruhte auf ihrem Nacken. Ihre Fingernägel streiften meinen Arm.
    Sie atmete tief aus, machte sich los, schlüpfte unter die Decke. Hob ihre Haare über den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher