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Blutnacht

Blutnacht

Titel: Blutnacht
Autoren: Jonathan Kellerman
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sie ignorierte. Oder sein Funkgerät ausgeschaltet hatte.
    Warum?
    Sie saß eine Stunde mit Bob und Mary Stahl zusammen, bevor die Antwort sich herauskristallisierte.
    Erfuhr, dass sie in Camarillo lebten, wo Eric aufgewachsen war, eine kurze Fahrt vom Strand entfernt. Eric war ein guter Schüler gewesen, hatte Auszeichnungen in Baseball und Leichtathletik bekommen, liebte Junk Food, spielte Trompete. Surfte an den Wochenenden – also hatte sie mit ihrer anfänglichen Einschätzung doch nicht so weit daneben gelegen. Sie unterdrückte ein Lächeln. Was nicht schwer war bei dem Gedanken, dass Eric mit einem vom Brustbein bis zum Nabel zusammengeflickten Unterleib auf der Intensivstation lag. Shulls Klinge hatte seine Därme zerfetzt und das Zwerchfell nur um Millimeter verfehlt …
    Mary Stahl sagte: »Eric ist immer ein braver Junge gewesen. Nie auch nur das kleinste Problem.«
    »Nie«, stimmte Bob zu. »Fast zu brav, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    Petra forderte sie lächelnd auf, fortzufahren.
    »Das würde ich nicht sagen, mein Lieber«, sagte Mary Stahl.
    »Du hast Recht«, erwiderte Reverend Bob. »Aber du weißt, was ich meine.« An Petra gewandt: »Das PK-Syndrom. Prediger-Kinder. Es ist schwer für sie – dem Image gerecht zu werden. Oder zu glauben, sie müssten es. Wir haben nie Druck auf Eric ausgeübt. Wir sind Presbyterianer.«
    Als ob das alles erklärte.
    Petra nickte.
    »Trotzdem spüren einige Kinder den Druck«, sagte Reverend Bob. »Mein anderer Sohn etwa. Er hat sich selbst erheblich unter Druck gesetzt und viel Lehrgeld zahlen müssen. Jetzt ist er Anwalt.«
    »Steve lebt auf Long Island«, sagte Mary ‚Stahl. »Arbeitet in einer großen Kanzlei in Manhattan. Er kommt morgen mit dem Flugzeug. Er und Eric sind immer zusammen gesurft.«
    »Eric schien nie unter dem Druck zu leiden«, erklärte ihr Mann. »Er war wirklich locker. Ich habe oft im Scherz zu ihm gesagt, dass er sich lieber mal über irgendwas aufregen sollte, weil er sonst einen viel zu niedrigen Blutdruck bekäme.«
    Mary Stahl brach in Tränen aus. Petra saß dabei, während Reverend Bob sie tröstete.
    »Ich bitte um Entschuldigung«, sagte sie, als sie ihre Fassung wiedergewann.
    »Dazu besteht kein Grund, meine Liebe.«
    »Ich muss für Eric stark sein. Ich mag es nicht, wenn ich eine Szene mache.«
    Petra lächelte. Lächeln schien so ziemlich das Einzige zu sein, was sie tun konnte. Sie hoffte, es sähe echt aus, weil es sich eindeutig nicht echt anfühlte.
    Mary Stahl erwiderte das Lächeln. Weinte noch ein bisschen. Sagte: »Vor ein paar Jahren hat sich Erics Leben geändert.«
    »Mary«, sagte Bob.
    »Sie ist seine Partnerin. Sie sollte Bescheid wissen.«
    Bobs Augen hinter den Trifokalgläsern flackerten. »Ja, du hast Recht.«
    Mary seufzte, berührte ihr Haar. Lehnte sich zurück. »Eric hatte eine Familie, Detective Connor. Als er in der Army war – bei den Special Forces. Eine Frau und zwei Kinder. Heather, Danny und Dawn. Danny war fünf, Dawn zweieinhalb. Sie lebten alle in Riad. In Saudi-Arabien. Eric war der amerikanischen Botschaft zugeteilt worden, er hat uns nie richtig erzählt, wozu – so ist es bei den Special Forces nun mal. Man kann nicht darüber reden, was man macht.«
    »Natürlich nicht.«
    »Sie haben seine Familie getötet«, sagte Mary. »Ein Mitglied der Königsfamilie in einem schnellen Auto – einem Ferrari. Heather^ging mit den Kindern auf einer Hauptstraße in der Nähe eines großen Einkaufszentrums spazieren. Dieser Mensch kam angerast und hat sie überfahren, und sie waren alle tot.«
    »Mein Gott«, sagte Petra.
    »Unsere Enkelkinder«, sagte Mary.
    »Was Eric neben dem Verlust seiner Familie am meisten zu schaffen gemacht hat«, erklärte Reverend Bob, »war die Art, wie die Regierung – unsere Regierung – ihn behandelt hat. Der Mörder ist nicht bestraft worden. Die Saudis behaupteten, Heather hätte nicht aufgepasst, es wäre ihre Schuld gewesen. Die Saudis boten Eric Geld an – hundertfünfzigtausend Dollar.«
    »Fünfzigtausend für jedes Leben«, sagte Mary.
    Bob sagte: »Eric wandte sich an die Army und an die Botschaft. Er bestand auf einer Strafverfolgung. Die Army und das Außenministerium sagten ihm, er solle das Geld akzeptieren. Im nationalen Interesse.«
    »Eric hat seinen Abschied eingereicht«, sagte Mary. »Danach war er anders.«
    »Das kann ich verstehen«, erwiderte Petra.
    »Ich wünschte, er würde darüber reden«, sagte Mary. »Mit mir, mit seinem Vater,
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