Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
ein trübes gelbliches Viereck hinzu.
Paulsen-Fuchs zog die Flasche aus dem Korb, steckte sie in seinen
Mantel und stieg aus. Seine Stiefel erzeugten im Schnee kleine
leuchtende Druckwellen.
    »Bei Gott«, sagte Gogarty, der ihm entgegenkam,
»ich hatte nicht erwartet, daß sie bei diesem Wetter
versuchen würden, die Reise zu machen.«
    »Nun ja«, erwiderte Paulsen-Fuchs. »Die
Verrücktheit eines gelangweilten alten Mannes, nicht
wahr?«
    »Kommen Sie herein! Im Kamin ist ein Feuer –
glücklicherweise brennt Holz noch! Und es gibt heißen Tee,
Kaffee, was Sie wollen.«
    »Irischen Whisky!« rief Paulsen-Fuchs und schlug die
behandschuhten Hände zusammen.
    »Also«, sagte Gogarty beim Öffnen der Haustür,
»dies ist Wales, und Whisky ist überall knapp. Irischen
haben wir nicht, bedauerlicherweise.«
    »Ich habe selbst welchen mitgebracht«, sagte
Paulsen-Fuchs und zog die Flasche Glenlivet unter dem Mantel hervor.
»Sehr selten, sehr teuer.«
    Die Holzscheite knisterten und knackten anheimelnd im gemauerten
Kamin, und der Feuerschein ergänzte die flackernde elektrische
Beleuchtung. Das Innere des kleinen Hauses war ein Durcheinander von
Tischen und Schreibtischen – drei davon im Wohnzimmer –,
Bücherschränken, einem batteriebetriebenen Computer
-»Hat seit drei Monaten nicht mehr gearbeitet«, sagte
Cogarty –, einer Vitrine mit den Gehäusen von
Meeresschnecken und Muscheln und präparierten Fischen, einem
alten rosarot gestrichenen, samtbezogenen Sofa, einer mechanischen
Olympia-Schreibmaschine – jetzt ein kleines Vermögen wert
–, einem Zeichentisch, der unter Papierbogen und Rollen beinahe
verborgen war, und mehreren wackligen Holzstühlen. Die
Wände waren geschmückt mit gerahmten und kolorierten
Kupferstichen des achtzehnten Jahrhunderts, die Blumen
darstellten.
    Gogarty nahm den Teekessel vom Feuer und füllte zwei Tassen.
Paulsen-Fuchs setzte sich in einen der zwei abgenutzten Sessel und
schlürfte anerkennend den grünen Tee. Zwei Katzen, eine
orangefarben getigerte mit struppigem Fell, und eine stumpfnasige
schwarze Perserkatze, kamen herein, bezogen vor dem Kaminfeuer
Stellung und blickten ihn mit gemäßigter Neugierde und
Abneigung an.
    »Ich werde später einen Whisky mit Ihnen trinken«,
sagte Gogarty, als er sich ihm gegenüber niederließ.
»Ich dachte, Sie würden vorher gern dies hier
sehen.«
    »Ihren ›Geist‹?« fragte Paulsen-Fuchs.
    Gogarty nickte und griff in die Brusttasche seines Hemdes, der er
ein gefaltetes Stück weißen Papiers entnahm und es
Paulsen-Fuchs reichte. »Es ist auch für Sie. Unser beider
Namen. Aber es kam vor zwei Tagen hier an. Lag im Briefkasten, obwohl
es seit einer Woche keine Postzustellung mehr gegeben hat. Nicht hier
draußen. Meinen Brief an Sie habe ich in Pwlllheli
aufgegeben.«
    Paulsen-Fuchs entfaltete den Brief. Das Papier war
ungewöhnlich, von wolkiger Beschaffenheit und beinahe blendend
weiß. Eine Seite trug eine Botschaft in sauberer schwarzer
Handschrift. Paulsen-Fuchs las sie und blickte zu Gogarty auf.
    »Lesen Sie sie noch mal!« sagte Gogarty. Die Botschaft
war so kurz, daß das meiste in seinem Gedächtnis geblieben
war. Beim zweiten Durchlesen hatte sie sich jedoch geändert.
     
Lieber Sean und Heinz.
    Eine faire Warnung für die Weisen. Ausreichend. Kleine
Veränderungen jetzt, große bevorstehend. SEHR
große.
    Sean kann es ausrechnen. Er hat die Mittel. Die Theorie.
Andere werden aufmerksam gemacht. Verbreiten Sie die
Nachricht.
    Bernard
     
    »Jedesmal ist sie anders. Manchmal ausführlicher,
manchmal stichwortartig knapp. Ich habe nach jedem Überlesen
aufgeschrieben, was sie besagte.« Gogarty streckte ihm die Hand
hin und rieb die Finger aneinander. Paulsen-Fuchs gab ihm den Brief
zurück.
    »Meines Erachtens ist es kein Papier«, sagte Gogarty. Er
tauchte den Brief in seine Teetasse. Der Brief nahm nichts von der
Flüssigkeit auf, noch tropfte er, als er herausgezogen wurde. Er
nahm ihn mit beiden Händen und versuchte, ihn mit einigem
Kraftaufwand zu zerreißen. Der Brief blieb unversehrt.
    »Möchten Sie noch einmal lesen?«
    Paulsen-Fuchs schüttelte den Kopf. »Also ist er nicht
echt«, sagte er.
    »Doch, er ist echt genug, um hier zu liegen, wann immer ich
ihn lesen will. Bloß ist der Text niemals der gleiche, was mich
zu der Ansicht gebracht hat, daß er nicht aus Materie gemacht
ist.«
    »Ein Scherz ist es nicht.«
    Gogarty lachte. »Nein, ich denke nicht.«
    »Bernard ist nicht tot.«
    Gogarty nickte.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher