Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
Größe hatte Vergil
überraschend feine und empfindsame Hände. Er hob einen
kostspieligen schwarzen Titanrotor aus der Ultrazentrifuge und
schloß die stählerne Vakuumverriegelung. Er legte den
Rotor auf einen Arbeitstisch und entfernte nacheinander die fünf
gedrungenen Glasröhren, die in Schlingen unter der
pilzähnlichen Kappe aufgehängt waren. In jeder Röhre
hatten sich mehrere klar abgegrenzte weißliche bis beigefarbene
Schichten gebildet.
    Hinter dem dicken Brillenrand hoben sich die buschigen schwarzen
Brauen und zogen sich zusammen. Er lächelte und zeigte
Zähne, die vom Trinken fluorisierten Wassers seit seiner
Kindheit bräunlich gefleckt waren.
    Er war im Begriff, die Pufferlösung und die
unerwünschten Schichten abzusaugen, als das Labortelefon piepte.
Er stellte das Glas in einen Ständer und nahm den Hörer ab.
»Gemeinschaftslabor, Ulam.«
    »Vergil, Rita hier. Ich sah Sie hereinkommen, aber Sie waren
nicht in Ihrem Labor…«
    »Weil ich hier bin. Was gibt es, Rita?«
    »Sie baten mich… äh… sagten mir, ich solle
Ihnen Bescheid geben, wenn ein gewisser Herr kommt. Ich glaube, er
ist hier.«
    »Michael Bernard?« fragte Vergil mit erhobener
Stimme.
    »Ich glaube, er ist es. Aber…«
    »Ich komme sofort.«
    »Vergil…«
    Er legte auf und stand noch einen kurzen Moment unschlüssig
über den Gläsern, dann ließ er sie, wo sie waren.
    Genetrons Foyer war ein kreisförmiger Auswuchs im
Erdgeschoß der Ostecke, umgeben von Panoramafenstern und
großzügig ausgestattet mit Zimmerpflanzen in verchromten
Übertöpfen. Die Morgensonne schien weiß und blendend
herein und brachte den himmelblauen Teppichboden zum Leuchten, als
Vergil von der Laborseite hereinkam. Rita stand hinter ihrem
Schreibtisch auf, als er vorbeiging.
    »Vergil…«
    »Danke«, sagte er. Sein Blick war unverwandt auf den
distinguiert aussehenden grauhaarigen Mann gerichtet, der bei dem
einzigen Sofa stand. Es gab keinen Zweifel, der Mann war Michael
Bernard. Vergil erkannte ihn von Abbildungen und dem Titelfoto, das
die Zeitschrift Time von ihm gebracht hatte. Vergil streckte
die Hand aus und setzte ein breites Lächeln auf. »Sehr
erfreut, Sie kennenzulernen, Mr. Bernard.«
    Bernard schüttelte ihm die Hand, schien aber verwirrt.
    Gerald T. Harrison stand in der breiten Doppeltür des
eleganten Vorzeigebüros der Genetron, einen Telefonhörer
zwischen Ohr und Schulter geklemmt. Bernard blickte hilfesuchend zu
Harrison.
    »Ich bin sehr froh, daß Sie meine Nachricht erhalten
haben«, fuhr Vergil fort, bevor er auf Harrisons Anwesenheit
aufmerksam wurde.
    Harrison beendete sofort sein Gespräch und warf den
Hörer auf die Gabel. »Rang hat seine Vorrechte,
Vergil«, sagte er mit einem heuchlerischen Lächeln und nahm
neben Bernard Aufstellung.
    »Entschuldigen Sie, was für eine Nachricht?« fragte
Bernard.
    »Dies ist Vergil Ulam, einer unserer besten Forscher«,
sagte Harrison. »Wir alle sind sehr erfreut über Ihren
Besuch, Mr. Bernard. Vergil, ich werde später auf diese
Angelegenheit zurückkommen, die Sie besprechen
wollten.«
    Er hatte Harrison nicht um eine Besprechung gebeten.
»Gewiß«, sagte Vergil. In ihm nagte das alte und nur
zu vertraute Gefühl, übergangen und beiseite gestoßen
zu werden.
    Bernard hatte keine Ahnung, wer er war.
    »Später, Vergil«, sagte Harrison mit Betonung.
    »Gewiß, selbstverständlich.« Er wich
zurück, blickte bittend zu Bernard, dann machte er kehrt und
ging schwerfällig durch die rückwärtige Tür
hinaus.
    »Wer war das?« fragte Bernard.
    »Ein sehr ehrgeiziger Bursche«, antwortete Harrison,
dessen Miene sich verdüstert hatte. »Aber wir haben ihn
unter Kontrolle.«
     
    Harrison hatte sein Arbeitsbüro am Westende des
Laboratoriumsgebäudes im Erdgeschoß. Der Raum war umgeben
von Bücherregalen. Das in Augenhöhe befindliche Regal
hinter dem Schreibtisch enthielt Loseblattsammlungen in schwarzen
Plastikmappen. Darunter war eine Reihe von Telefonbüchern –
Harrison sammelte alte Telefonbücher –, und mehrere Regale
waren vollgestopft mit Bänden über elektronische
Datenverarbeitung. Auf der schwarzen Schreibtischplatte lag eine
Schreibunterlage mit Lederrand mit einer Schreibgarnitur. Daneben
stand ein Datenanschluß.
    Von den Gründern der Genetron waren nur Harrison und William
Yng lange genug geblieben, daß sie die Aufnahme des
Laborbetriebs miterlebt hatten. Beide waren mehr zum
Kaufmännischen als zur Forschung orientiert, obwohl ihre
Promotionsurkunden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher