Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
meisten der
Million Ichs werden im Laufe der Zeit jede Ähnlichkeit mit
dem gegenwärtigen Ich verlieren, denn wir sind
unendlich variabel. Unser Verstand arbeitet an der unendlichen
Vielfalt des Lebens und seiner Fundamente.
    Heinz, ich wollte, Sie könnten sich uns
anschließen.
    Wir sind uns des Drucks bewußt, unter dem Sie
stehen.
    (Textunterbrechung 08:47-10:23)
    Kein Tippen auf die Tasten. In die Tastatur, in die
Elektronik.
    Weiß, Sie müssen vernichten.
    Warten Sie! Warten Sie bis 11:30! Geben Sie einem alten
Freund diese Frist!
    Mein altes Selbst gefällt mir nicht, Heinz. Ich habe es
größtenteils aufgegeben. Verwelkte Stücke
gestutzt. Ganze Abschnitte meiner zweiundfünfzig Jahre neu
gelebt und neu geformt. Man könnte hier ein Heiliger werden,
ohne eine Vielzahl von Sünden zu erforschen. Welcher Heilige
weiß nichts von Sünde?
    (Textunterbrechung 10:35-11:05)
    Gogarty.
    CGATCATTAG (UCAGCUGOGAUCGAA) Name jetzt.
    Gogarty. Erstaunlich, viel zu dicht, viel zu viel sehen,
theoretisieren, viel zu viel Sein. Sie wissen in Nordamerika. Bis
zum kleinsten haben sie Nordamerika ausgespäht. Unterrichten
uns, bereiten vor. Alle gehen zusammen. In tödlicher Furcht,
wundervoller Furcht, der feinsten Furcht, Heinz, nicht in den
Gedärmen gefühlt, sondern in Gedanken überlegt,
nichts kommt ihr gleich. Furcht vor Freiheit jenseits der
Beschränkungen jetzt, und scheinbar schon wundervoll frei.
Soviel Freiheit, daß wir verändern müssen, um
unterzubringen. Unkenntlich.
    Heinz 11:30 soviel Zeit.
    11:30 11:30 11:30!
    Solch ein Ansturm von Gefühl für das Alte,
Zuneigung des Huhnes zum Ei, des Menschen zur Mutter, des
Schülers zur Schule.
    Verzweigung. Jemand anders übernimmt das
Schreiben.
    Begegnung mit meinen Selbsten. Befehlsgruppen koordinieren.
Feier. So viel, so reichhaltig! Drei von mir bleiben zu schreiben,
bereits sehr verschieden. Freunde zurück vom Urlaub. Trunken
von Erfahrung der Freiheit, des Wissens.
    Olivia, wartend…
    Und Heinz, dies ist ein hinterwäldlerischer
Noozytenslum, nicht wie Nordamerika. Bald kommt Neues
Jahr!
    NOVA
    (Textende 11:26)
     
    Heinz Paulsen-Fuchs las die letzten Worte vom Bildschirm ab und
zog die Brauen hoch. Die Hände auf den Armlehnen des Sessel,
blickte er zur Wanduhr auf.
    11:26:46
    Er blickte zu Dr. Schatz und stand auf. »Öffnen Sie die
Tür!« sagte er.
    Sie streckte die Hand zum Schalter aus und öffnete die
Tür zum Beobachtungsraum.
    »Nein«, sagte er. »Zum Labor!«
    Sie zögerte.
    11:26:52
    Er eilte zur Konsole, stieß sie beiseite und betätigte
in rascher Folge die drei Schalter.
    11:27:56
    Die Dreischichtenluke begann sich schwerfällig in Bewegung zu
setzen.
    »Herr Paulsen-Fuchs!«
    Er schlüpfte durch die Öffnung in den äußeren
Isolationsbereich, noch frostig vom Vakuum, und in den
Hochdruckbereich, daß es in seinen Ohren knackte. Von dort mit
wenigen Schritten in die Isolierkammer.
    11:29:32
    Der Raum war von Feuer erfüllt. Einen Augenblick dachte
Paulsen-Fuchs, daß Dr. Schatz eine geheimnisvolle Notreinigung
begonnen und alles in der Kammer getötet habe.
    Aber sie hatte nicht.
    11:29:56
    Das Feuer erlosch, hinterließ Ozongeruch und etwas wie eine
verbogene Linse in der Luft über dem Bett.
    Das Feldbett war leer.
    11:30:00

 
44
     
    Suzy fühlte die Übelkeit und stellte den Teller weg.
»Ist es jetzt?« fragte sie die leere Luft. Sie zupfte an
ihrem Umhang. »Kenny, Howard, ist es jetzt? Cary?«
    Sie stand inmitten einer ebenen, kreisförmigen Fläche,
hinter sich den grauen Zylinder, der ihr das Essen gebracht hatte.
Die Sonne bewegte sich in unregelmäßigen Kreisen, und die
Luft schien zu schimmern. In der vergangenen Nacht, während sie
geschlafen hatte, war Cary dagewesen und hatte ihr, soweit sie
verstehen konnte, von den bevorstehenden Dingen erzählt.
»Cary? Mutter?«
    Der Umhang versteifte sich.
    »Geht nicht fort!« schrie sie. Die Luft wurde wieder
warm, und der Himmel schien mit altem Firnis überzogen. Die
Wolken glätteten sich zu öligen Streifen, und der Wind
frischte auf und pfiff zwischen dem säulenbestandenen Hügel
auf einer Seite der Fläche und dem stachligen Polyeder auf der
anderen hindurch. Die Stacheln des Polyeders glommen blau und
zitterten. Dann teilte sich der Polyeder in dreieckige Keile auf;
zwischen ihnen drang Lichtschein hervor, rot wie glutflüssige
Lava.
    »Dies ist es, nicht?« fragte sie weinend. In den
Träumen der vergangenen Woche hatte sie soviel gesehen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher