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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
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und fuhr
mit dem Zeigefinger die sauber geschriebenen Buchstaben und
Wörter entlang.
     
Lieber Heinz, lieber Sean. Sean hat die Antwort.
Dehnung der Theorie, zu intensive Beobachtung. Schwarzes Loch der
Gedanken. Wie er sagte. Theorie paßt, Universum ist geformt.
Nicht anders herum. Zu viel Theorie, zu wenig Flexibilität.
Mehr steht bevor. Große Veränderungen.
    Bernard
     
    »Sonderbar«, sagte Paulsen-Fuchs. »Und es ist
dasselbe Blatt?«
    »Soweit ich es beurteilen kann, dasselbe.«
    »Was will er diesmal sagen?«
    »Ich denke, er bestätigt die Richtung meiner Arbeit,
obwohl er sich nicht sehr klar ausdrückt. Vorausgesetzt, Sie
lesen die Botschaft genauso wie ich. Sie werden das Gelesene
abschreiben müssen, damit wir vergleichen können.«
    Paulsen-Fuchs schrieb den Text auf ein Blatt Papier und reichte es
Gogarty.
    Der Physiker nickte. »Diesmal viel ausdrücklicher.«
Er legte das Blatt weg und schenkte Kaffee nach. »Geradezu
beschwörend. Er scheint zu bestätigen, was ich letztes Jahr
sagte – daß das Universum tatsächlich keinen Unterbau
hat, daß, wenn eine gute Hypothese daherkommt, eine, welche die
vorausgegangenen Ereignisse erklärt, der Unterbau sich selbst
entsprechend formt, und eine überzeugende Theorie geboren
wird.«
    »Dann gibt es letzten Endes keine Realität?«
    »Anscheinend nicht. Schlechte Hypothesen, die nicht damit
übereinstimmen, was auf unserer Ebene geschieht, werden vom
Universum zurückgewiesen. Gute, überzeugende, werden
einverleibt.«
    »Das muß für den Theoretiker höchst
verwirrend sein.«
    Gogarty nickte. »Aber es gibt mir die Möglichkeit zu
erklären, was mit unserer Erde geschieht.«
    »So?«
    »Das Universum bleibt nicht immer dasselbe. Eine brauchbare
Theorie kann die Realität nur für eine gewisse Zeit
bestimmen, und dann muß das Universum ein paar
Veränderungen einführen.«
    »Die Denkgebäude umstürzen, damit wir nicht
selbstzufrieden werden?«
    »So ist es. Aber Realität kann in ihrer Veränderung
nicht beobachtet werden. Sie muß sich auf einer Ebene
verändern, die durch Beobachtung nicht fixiert ist. Als unsere
Noozyten also alles auf der kleinsten möglichen Ebene
beobachteten, war das Universum unfähig, flexibel zu handeln,
sich umzuformen. Es baute sich eine Art Spannung auf. Die Noozyten
erkannten, daß sie sich in der Welt der Makrokosmos nicht
länger halten konnten, also… nun, ich kann wirklich nicht
mit irgendeiner Gewißheit sagen, was sie taten. Aber als sie
gingen, wurde die Spannung plötzlich gelöst und verursachte
einen Bruch. Die Dinge sind jetzt aus dem Lot. Die Veränderung
war zu abrupt, sie führte zu Ungleichheiten in der Anpassung.
Das Ergebnis ist ein Universum, das mit sich selbst nicht
übereinstimmt, das widersprüchliche Phänomene
zuläßt, jedenfalls in unserer Nachbarschaft. Wir bekommen
leuchtenden Schnee, unzuverlässige Maschinen, ein sanftes Chaos.
Und es mag sanft sein, weil…« Er schnitt eine Grimasse und
zuckte die Achseln. »Mehr zerschlagenes Porzellan, fürchte
ich.«
    »Nur heraus damit!«
    »Weil die Noozyten versuchen, so viele von uns zu retten, wie
sie können. Für etwas Späteres.«
    »Die ›großen Veränderungen‹.«
    »Ja.«
    Paulsen-Fuchs betrachtete Gogarty eine Weile nachdenklich, dann
schüttelte er den Kopf. »Ich bin zu alt«, sagte er.
»Wissen Sie, der Aufenthalt in England hat mich an den Krieg
erinnert. So ungefähr muß es in England während der
Luftoffensive gewesen sein – Sie nannten es den
›Blitz‹. Und so wurde es in Deutschland gegen
Kriegsende.«
    »Im Belagerungszustand«, sagte Gogarty.
    »Ja. Aber wir Menschen sind chemisch sehr empfindlich
ausbalanciert. Glauben Sie, die Noozyten versuchen die
Sterblichkeitsrate zu drücken?«
    Gogarty zuckte abermals die Achseln und griff zu dem Brief.
»Ich habe dieses Ding tausendmal gelesen, und gehofft, es
würde einen Hinweis auf diese Frage geben. Nichts. Keine
Andeutung.« Er seufzte. »Ich kann nicht einmal eine
Vermutung wagen.«
    Paulsen-Fuchs steckte den letzten Bissen Toast in den Mund und
kaute genießerisch. »Letzte Nacht hatte ich einen ziemlich
lebhaften Traum«, sagte er. »In diesem Traum wurde ich
gefragt, wieviele Händedrücke ich von jemand entfernt sei,
der in Nordamerika lebte. Meinen Sie, das könnte bedeutsam
sein?«
    »Nichts ignorieren«, sagte Gogarty. »Das ist mein
Motto.«
    »Was sagt der Brief jetzt? Lesen Sie vor!«
    Gogarty entfaltete das Blatt und schrieb die Botschaft sorgsam
mit.
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