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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik
Autoren: Greg Bear
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»Ziemlich unverändert«, sagte er, nachdem er
verglichen hatte. »Moment – ein Wort ist hinzugefügt
›große Veränderungen bald‹.«
    Sie unternahmen einen Spaziergang in dem von flüchtigen
Wolkenschatten unterbrochenen Sonnenschein. Ihre Stiefel knirschten
im Schnee, komprimierten ihn zu Eis. Die Luft war bitterkalt, aber
der Wind hatte nachgelassen. »Besteht Hoffnung, daß alles
wieder ins Lot kommen und zum Normalzustand zurückkehren
wird?« fragte Paulsen-Fuchs.
    »Wer kann es sagen? Ich würde die Frage bejahen, wenn
wir es nur mit den Kräften der Natur zu tun hätten. Aber
Bernards Botschaften sind nicht sehr ermutigend, nicht
wahr?«
    Sie gingen weiter, bis Gogarty stehenblieb, dampfenden Atem von
sich blies und plötzlich sagte: »Ich bin unwissend. Wie
erfrischend, das zu sagen: Unwissend. Ich bin unbekannten
Kräften ebenso ausgesetzt wie dieser Baum.« Er wies zu
einer gekrümmten und knorrigen alten Fichte auf einem Felsen
über dem Strand. »Von nun an können wir nur
abwarten.«
    »Dann luden Sie mich nicht hierher ein, damit wir nach
Lösungen suchen können.«
    »Nein, – selbstverständlich nicht.« Gogarty
trat versuchsweise auf eine gefrorene Pfütze. Das Eis zerbrach,
aber darunter war kein Wasser. »Es schien einfach so, daß
Bernard uns hier haben wollte, oder zumindest beisammen.«
    »Ich kam mit der Hoffnung auf Antworten.«
    »Tut mir leid.«
    »Nein, das stimmt nicht ganz. Ich kam auch hierher, weil ich
in Deutschland gegenwärtig nichts zu tun habe. Auch anderswo
nicht. Ich bin ein Unternehmer ohne Firma, ohne Arbeit. Zum ersten
Mal seit Jahren bin ich frei, Risiken einzugehen.«
    »Und Ihre Familie?«
    »Wie Bernard, habe auch ich mit den Jahren verschiedene
Familien abgelegt. Haben Sie eine?«
    Gogarty bejahte. »Letztes Jahr waren sie in Vermont, wo sie
meine Schwiegereltern besuchten.«
    »Verzeihen Sie meine Frage«, sagte Paulsen-Fuchs.
    Als sie zum Haus zurückgekehrt waren, im Kamin ein frisches
Feuer entfacht hatten und mehr Tassen heißen Kaffees tranken,
hatte Bernards Botschaft den folgenden Wortlaut:
     
Lieber Sean, lieber Heinz -
    Letzte Botschaft. Geduld. Wie viele Handschläge sind
Sie von jemandem entfernt, der jetzt fort ist? Einen Handschlag.
Nichts ist verloren. Dies ist der letzte Tag.
    Bernard
     
    Sie lasen den Text beide gemeinsam. Gogarty faltete das Blatt und
legte es zur Aufbewahrung in die Schublade. Eine Stunde später,
bewegt von einem prickelnden Vorgefühl, öffnete
Paulsen-Fuchs die Schublade, um den Brief ein weiteres Mal zu
lesen.
    Er war nicht mehr da.

 
46
     
    London
     
    Suzy beugte sich aus dem Fenster und nahm einen tiefen Atemzug von
der kalten Luft. Sie hatte niemals etwas so Schönes gesehen,
nicht einmal das Leuchten des East River, als sie die Brooklyn Bridge
überquert hatte. Der leuchtende Schnee war einfach
überwältigend, ein eleganter Schlußsatz, der das Ende
einer verrückt gewordenen Welt verkündete. Soviel stand
für sie fest. In den neun Monaten, die sie bisher in London
verbracht hatte, in einer kleiner Wohnung, die ihr von der
amerikanischen Botschaft bezahlt wurde, hatte sie verfolgen
können, wie die Stadt zu einem krampfartigen, zitternden
Stillstand gekommen war. Sie hatte sich die meiste Zeit in ihrer
Wohnung verborgen, aus dem Fenster gespäht und immer weniger
Automobile und Lastwagen gesehen, mehr und mehr Fußgänger,
als der leuchtende Schnee tiefer wurde, und dann…
    Weniger Fußgänger und mehr, vermutete sie, die in den
Häusern blieben. Eine amerikanische Konsulatsbeamtin kam einmal
wöchentlich zu ihr. Ihr Name war Laurie, und manchmal brachte
sie Yves mit, ihren Verlobten, der trotz seines französischen
Namens gebürtiger Amerikaner war.
    Laurie kam immer, brachte Suzy ihre Lebensmittel, ihre
Kinderbücher und Zeitschriften und brachte Nachrichten, was
immer es davon noch gab. Laurie sagte, »die Luftwellen«
würden zunehmend schwieriger. Das bedeutete, daß die Leute
kaum noch etwas mit ihren Radios anfangen konnten. Suzy hatte ihres
noch immer, obwohl es ausgefallen war, seit sie es beim Besteigen des
Hubschraubers hatte fallen lassen. Es hatte einen großen Sprung
und zischte und knisterte nicht einmal, wenn sie es einschaltete,
aber es war eines der wenigen Dinge, die ihr gehörten.
    Sie wandte sich vom Fenster und schloß die Augen. Es
schmerzte sie jedesmal, wenn sie sich erinnerte, was geschehen war.
Das Gefühl des Verlustes, allein in der Mitte des
abgeräumten Manhattan zu stehen und
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