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Blutlinien - Koeln Krimi

Blutlinien - Koeln Krimi

Titel: Blutlinien - Koeln Krimi
Autoren: Myriane Angelowski
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ist, dass meine Opfer eine Wahl hatten. Sie haben sich an einer Stelle ihres Lebens falsch entschieden und damit ihr Ende selbst zu verantworten. Mich trifft keine Schuld. Ich suche sie nicht aus, sie laufen mir ins Visier, ich erledige nur die notwendige Drecksarbeit und beseitige die, die auf bestimmten Linien laufen.
    Zugegeben, da kommt einiges zusammen. Und ich bin auch etwas stolz darauf, sagen zu können, dass ich den Überblick bisher nicht verloren habe. Ich halte exakt fest, wen ich erledige. Akribisch notiere ich die Koordinaten meiner Opfer. Zuerst handschriftlich in einer altmodischen Kladde. Regentage nutze ich, um meine Notizen in den Computer einzugeben. Seitenweise drucke ich Berichte aus und hefte sie ordentlich ab. Disziplin ist bei so vielen Dingen hilfreich. Wenn mir die Zeit lang wird oder mich diese schreckliche Unruhe packt, gehe ich die Aufzeichnungen durch, und vor meinem inneren Auge läuft eine Art Film ab. So zehre ich von meinen Werken, bewahre Einzelheiten, kann sozusagen die Repeat-Taste für jede Eliminierung drücken.
    Ansonsten lasse ich die Dinge auf mich zukommen. Das meiste ist Fügung oder Schicksal. Kaum etwas ist persönlich. Um das zu erkennen, brauchte ich ein Erlebnis, das mir die Augen öffnete. Es widerfuhr mir kurz nach meinem fünfzehnten Geburtstag. Die Tragweite des Erlebten offenbarte sich mir nicht sofort. Es vergingen Jahre, bis sich ein übergeordneter Sinn ergab.
    Ich habe die Schwester meines Vaters nie besonders gemocht. Sie war eine quirlige, massige Person, mit übertriebenem Goldschmuck, die Zigarillos rauchte. Noch heute kann ich diesen speziellen Geruch kaum ertragen. Jedenfalls bereiste sie die Welt, und eines Tages nahm sie mich mit nach Peru. Es ist nicht unwichtig, wie es dazu kam, doch darauf möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen. Ich verspürte damals nicht die geringste Lust, die Ferien am anderen Ende der Welt zu verbringen. Nach Südamerika lockte mich weder die Sierra noch der undurchdringliche Regenwald. Ich fand alles nur öde, besonders den Süden mit seiner elenden Wüste.
    Trotzdem schleifte mich meine Tante durchs Land. Ihre Obsession war die Fotografie. Ich musste ihr als Assistent zur Verfügung stehen und kostbares Zubehör schleppen, das sie den Trägern nicht anvertrauen wollte. Ziemlich schnell erkannte ich, dass ihre Großzügigkeit egoistischer Natur war.
    Auf der Suche nach Motiven verschwendete sie viel Geld und mutete uns alle möglichen Strapazen zu. Sie engagierte Führer zum Nevado Huascarán, dem höchsten Berg Perus, ließ uns zu dem schwimmenden Dorf bei Iquitos über den Amazonas rudern und bestand darauf, dass wir tagelang am Titicacasee campierten. Ich langweilte mich zwischen Kautschuk, Kakteen und Moskitos, während meine Tante auf der Jagd nach dem perfekten Foto aufgeregt durch den Staub kroch. Immer im feinsten Stoff mit passenden Schuhen. Eine Witzfigur.
    Irgendwann erreichten wir die »Zona Reservado San Fernando«, eine hügelige Region in der Atacama-Wüste. Ich sah nichts als Steine und Schmutz, meine Tante wirkte noch ruheloser als sonst, glühte regelrecht vor Aufregung. Die Gründe blieben mir schleierhaft.
    Wir schliefen in Marcona, einem winzigen Nest in der Pampa, als sie mich eines Tages vor Sonnenaufgang weckte und mit der gesamten Kameraausrüstung aus dem Hotel scheuchte, wo unser Fahrer wartete.
    Als der Wagen nach kurzer Fahrt stoppte, erkannte ich im fahlen Dämmerlicht eine einmotorige Cessna. Schon vorher hatten wir Inlandsflüge in solchen klapprigen Maschinen zurückgelegt, und ich war nicht scharf darauf, schon wieder eine zu besteigen. Die unruhigen Flüge strapazierten meinen Magen, deshalb folgte ich meiner Tante wenig begeistert und schwer bepackt in das kleine Flugzeug.
    »Du wirst Augen machen«, prophezeite sie und präparierte die Nikon.
    Als die Maschine startete, ging die Sonne auf. Ich war müde und hungrig. Außerdem teilte ich die Begeisterung meiner Tante in den allermeisten Fällen nicht. Was sie in wahre Schwärmereien versetzte, verursachte mir höchstens ein müdes Lächeln. Von daher hielten sich meine Erwartungen in Grenzen.
    Wir waren noch nicht lange in der Luft, als sie mich am Arm zog und wild in die Tiefe gestikulierte. »Du musst hinuntersehen!«
    Was dann folgte, werde ich niemals vergessen. Mir stockte regelrecht der Atem. Aus der Luft sah ich riesige Figuren, gezeichnete Linien im staubigen Nirgendwo. Trapeze und Dreiecke in Perfektion gezogen. Figuren. Ich
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