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Niedersachsen Mafia

Niedersachsen Mafia

Titel: Niedersachsen Mafia
Autoren: Hannes Nygaard
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EINS
    Wie auf Kommando erstarb die
Geräuschkulisse, als der Pianist eintrat. Er verharrte einen Moment am Flügel
und verneigte sich, um den Beifall der Gäste über sich ergehen zu lassen. Dann
setzte er sich an das Instrument, ließ dreimal in der Luft seine Hände über die
Tastatur gleiten, schüttelte seine Finger demonstrativ aus, schlug mit dem
rechten Fuß zweimal auf den Fußboden, murmelte dabei sicht-, aber unhörbar: »Drei – vier«, und hämmerte ansatzlos in atemberaubender Geschwindigkeit in die
Tasten.
    Frauke Dobermann war sprachlos.
Es war faszinierend, in welchem Tempo der Künstler »Boogie Woogie with me«
intonierte. Ein Lächeln erschien auf seinem sonst konzentriert wirkenden
Gesicht, als mitten im Stück Beifall aufbrandete.
    Auch Frauke spendete Applaus. Den hatte sich der Mann redlich
verdient. Es folgte der »Swanee River Boogie«, und beim »Powerhouse
Boogie-Woogie« gab es kein Halten mehr unter den Zuschauern. Der Pianist hatte
sie alle in seinen Bann gezogen.
    Frauke war überrascht, überwältigt und begeistert. Das hätte sie Nathan Madsack nicht zugetraut. Der
korpulente Hauptkommissar und neben Putensenf zweite Mitarbeiter ihres Teams
war ein außergewöhnlicher Pianist.
    In einer Pause zwischen zwei Stücken beugte Putensenf sich zu ihr
herüber. »Na? Zu viel versprochen?«
    Sie wollte antworten, konnte aber nur nicken, weil die Worte in den
ersten Tönen des nächsten Stücks untergegangen wären.
    Madsack hatte sich den tosenden Applaus und die Pause verdient.
    »Ich kümmere mich um den Getränkenachschub«, sagte Putensenf und
wurde kurz abgelenkt, als Fraukes Handy klingelte.
    Böse Blicke und launische Kommentare von anderen Tischen straften
sie dafür ab, dass sie vergessen hatte, das Telefon auszuschalten.
    »Dobermann«, sprach sie leise in das Gerät und deckte das Telefon
mit der flachen Hand ab.
    »Sie haben einen Fehler gemacht«, sagte eine fremdländisch klingende
Männerstimme. »Sie werden sterben.«
    Dann hatte der Teilnehmer aufgelegt.
    Nachdenklich starrte Frauke auf ihr Telefon. Warum hatte sie
vergessen, das Gerät abzuschalten? Nach ihrem turbulenten Einstand beim
Landeskriminalamt in Hannover war es der erste Abend, an dem sie es für ein
paar Stunden vergessen hatte: den unfreiwilligen Wechsel von der Leitung der
Flensburger Mordkommission in die Niedersachsen-Metropole, die niederträchtigen
Intrigen und Verleumdungen, die der Anlass gewesen waren, das
Hineingestürztwerden in die Ermittlungsgruppe für organisierte Kriminalität und
der erste Fall in Hannover, der an Dramatik kaum zu überbieten war und an
dessen Ende sie die Leitung der Gruppe übertragen bekommen hatte.
    »Ist was?«, fragte Jakob Putensenf und reichte ihr ein Glas Rotwein.
    Frauke staunte über die charmante Art des Kriminalhauptmeisters.
Putensenf hatte ihr mit seinem Machogehabe viele Steine in den Weg gelegt, als
sie zu der männerdominierten Ermittlungsgruppe gestoßen war. Er machte keinen
Hehl aus seiner Überzeugung, Frauen würden nicht in den Polizeidienst gehören,
schon gar nicht zur Kriminalpolizei. Tatsächlich traf man in den sogenannten
»harten Sachgebieten« Frauen nur in geringer Zahl an. Jetzt war sie seine
Vorgesetzte.
    »Ich habe vergessen, mein Handy auszuschalten«, sagte Frauke.
    Doch Putensenf musterte sie argwöhnisch.
    »Privaten Ärger?«, fragte er leise und war erst beruhigt, als Frauke
nickte.
    Es hatte sich herumgesprochen, dass sie verheiratet war, aber Herr
Dobermann in Flensburg residierte und das offensichtlich Beste an dieser Ehe
das beiderseitige Schweigen war.
    Frauke prostete dem Kriminalhauptmeister zu, dann erhob sie das Glas
in Richtung seiner Frau. Anschließend nippte sie am Rotwein. Es war eine gute
Idee von Putensenf gewesen, sie hierher in den Jazzclub zu entführen, zum
ersten ruhigen Abend seit ihrer Ankunft an der Leine. Und dass das dritte
Mitglied ihres Teams, der schwergewichtige Hauptkommissar Nathan Madsack, der
bei jeder Bewegung ins Schnaufen kam, hier als fetziger Boogie-Woogie-Pianist
auftrat, war eine besondere Überraschung gewesen. Das hätte sie dem korpulenten
Mann nicht zugetraut.
    Erneut nippte sie am Weinglas und sah sich um. Geschwätziges Treiben
herrschte in den Katakomben des Clubs, der in Hannover Kult war. Im Publikum
fehlten die ganz jungen Leute, die offenbar keinen Bezug zu dieser Musik
hatten. Dafür fanden sich hier Damen und Herren, denen man getrost das Attribut
»betagt« zusprechen konnte, bewusst
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