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Blutiges Eis

Blutiges Eis

Titel: Blutiges Eis
Autoren: Giles Blunt
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anderen Verunreinigungen und innen mit langen weißen Kristallen verziert. Dieser von Menschen aufgeschüttete Berg ist so fest, dass er nicht vor Mitte Juni schmilzt.
    Cardinal und Catherine konnten selbst mitten auf dem See in der Ferne sehen, wie er an den Stellen, wo Eisstücke abgebrochen waren, in der Sonne glitzerte. Das Ufer entlang leuchteten die Knospen von Birken und Pappeln smaragdgrün. Andere Bäume, die Cardinal vom Wasser aus nicht bestimmen konnte, quollen von weißen Blüten über.
    Die Sonne wärmte ihnen Gesicht und Hände, doch ein scharfer Wind ging durch den Anorak, und die kanadische Flagge am Bootsheck veranstaltete ein fröhliches Knatterkonzert.
    Cardinals Boot war ein kleiner Außenborder aus Fiberglas, den sein Vater gekauft hatte, als Cardinal noch an der Highschool war. Es hatte nur einen 35er Evinrude-Motor, nichts, was mit seiner Bugwelle Kanus zum Kentern brachte, doch es brachte einen schnell und verlässlich über den Lake Nipissing. Das Seltsame an diesem See ist, daß er zwar nach den Großen Seen der größte in Ontario ist, aber auch einer der seichtesten – nicht mehr als zwölf Meter an den tiefsten Stellen.Selbst eine leichte Brise wie diejenige, die an diesem Maimorgen in Cardinals Gesicht schnitt, konnte ein Boot ganz schön ins Schaukeln bringen. Die Wellen schlugen energisch gegen den Rumpf.
    Sie waren am West Ferris Dock abgefahren und schipperten langsam an der Stadt vorbei. Die Kalksteinkathedrale war elfenbeinweiß, die Windschutzscheiben mancher Autos reflektierten die Sonne und leuchteten wie Spiegel. Jogger in bunter Sportkleidung liefen am Ufer entlang.
    »Schau dir die armen Bäume an«, sagte Catherine und wies mit dem Finger zum Ufer. Viele der Ahornbäume und Pappeln waren an den Spitzen waagerecht abgesägt – eine Maßnahme, die vom Eisregen gespaltene Stämme und abgebrochene Äste erfordert hatten. Es würde Jahre dauern, bevor sie wieder zu ihrer natürlichen Gestalt herangewachsen wären.
    »Ich seh mir gerade die Häuser an«, sagte Cardinal. »Da. Da. Und da drüben.« Er zeigte auf die roten Ziegel des Twi ckenham-Gebäudekomplexes, den weißen Turm des Balmoral. Von hier draußen konnten sie sogar das Hauptchalet des Highlands Ski Club sehen. »Und das alles gehört Paul Laroche, einem Burschen, der nicht mal frei rumlaufen dürfte.«
    »Na ja, er läuft ja auch nicht mehr frei rum, wenigstens nicht in Algonquin Bay.«
    »Und wir können ihn nirgends ausfindig machen. Wir glauben, dass er irgendwo in Frankreich ist.«
    »Na ja, das kannst du zumindest als Teilerfolg verbuchen, nicht wahr? Er musste alles zurücklassen, was er sich über die Jahre aufgebaut hatte.«
    »Es ist wenigstens etwas, aber als Sieg kann ich das nicht betrachten.«
    Er riss das Boot herum, so dass sie der Stadt den Rücken kehrten und der Bug in Windrichtung lag, dann lehnte er sich gegen die Drosselklappe zurück.
    »Du willst es hier machen?«, fragte Catherine.
    »Hier geht es so gut wie an jeder anderen Stelle, würde ich sagen. Kannst du eine Minute das Steuer übernehmen?«
    Das Boot wackelte unter ihnen, als sie die Plätze tauschten. Cardinal zog einen schwarzen Behälter aus einem Leinenbeutel, den das Bestattungsinstitut mitgeliefert hatte.
    »Ich dachte, es ist illegal, über dem See Asche auszustreuen«, sagte Catherine, »streng genommen.«
    »Stimmt«, sagte Cardinal, »streng genommen.« Er fragte sich, wie man den Behälter aufmachte. Es war ein schweres, rhombenförmiges Ding aus Kautschuk oder so etwas Ähnlichem. Es war nirgends ein Griff oder eine Lasche daran, um das Gefäß festzuhalten und aufzumachen. Noch gab es offenbar einen Schraubverschluss.
    »Was werden sie wohl tun, wenn Sie dich erwischen?«
    »Die Polizei? Darauf bestehen, dass ich sie wieder raushole.«
    »Nein, mal ernst.«
    »Wahrscheinlich muss man ein kleines Bußgeld zahlen«, sagte Cardinal. »Ich glaube, ich brauche einen Dosenöffner, um das aufzukriegen.«
    »Soll ich mal?«
    »Keine Sorge, ich verfüge über das nötige Werkzeug.« Cardinal zog sein Taschenmesser heraus und machte sich daran, den Deckel aufzuhebeln. Einen Augenblick später gab der Deckel nach, so dass eine durchsichtige Plastiktüte von der Größe einer Halb-Pfund-Mehltüte mit blassgrauer Asche zum Vorschein kam. Die meisten Teilchen waren kleiner als der Nagel an seinem kleinen Finger.
    »Ich kann immer noch nicht glauben, dass er nicht mehr da ist«, sagte Catherine. »Er war so ein … vitaler
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