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Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Blutiger Klee: Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Klee: Roman (German Edition)
Autoren: Marlene Faro
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ein paar anderen Frauen aus dem Dorf für die Gäste gekocht.
Aber das ist schon Jahre her.«
    Eine Autotür
wurde draußen zugeschlagen, dann waren Stimmen zu hören, zwei Frauen, die miteinander
sprachen, er kannte sie beide. Dann kamen Schritte über die Steinfliesen auf dem
langen Flur, hastig, und die Tür zur Küche wurde aufgerissen. Im Türrahmen stand
Lisa, die Gerichtsmedizinerin, dahinter war die Loibnerin zu sehen, neugierig und
unübersehbar auch ein wenig verärgert, dass sich diese Leute so ungefragt in ihrem
Haus bewegten.
    »Artur,
kann ich dich kurz sprechen?«
    Er nickte
und lächelte seiner Gesprächspartnerin am Tisch zu, stand auf und ging zu Lisa.
Sie traten in den Flur, und er schloss die Tür hinter sich, dann sah er die Loibnerin
mit einer kleinen Verbeugung an. »Darf ich Sie nochmals bitten?«
    Sie lächelte
widerwillig und ging wieder nach draußen, Lisa sah ihn spöttisch an. Artur und seine
ausgesuchte Höflichkeit, damit gelang es ihm jedes Mal, auch die widerborstigsten
Zeuginnen zu besänftigen. Dann wurde sie wieder sachlich, aber er merkte die Erregung
in ihrem Gesicht.
    »Er ist
gerade abtransportiert worden. Ich fahre gleich zurück und werde ihn mir noch heute
vornehmen. Aber weißt du, was ich entdeckt habe?«
    Er wartete
geduldig, auf so eine Frage war jede Antwort überflüssig.
    »Wie er
auf die Trage gelegt worden ist, da habe ich ihn noch einmal von oben bis unten
angesehen und dann …« Sie zögerte. »Dann habe ich so ein Gefühl gehabt.« Sie zögerte
wieder, aber Pestallozzi lächelte nicht. Schon dafür wäre sie für ihn durchs Feuer
gegangen. Bei jedem anderen Kollegen hätte sie um keinen Preis das Wort ›Gefühl‹
in den Mund genommen. Jaja, die Weiber mit ihren Gefühlen oder mit ihrer weiblichen
Intuition, wie das jetzt auf Obergescheit heißt. Und dann hätten sie sich alle gegenseitig
angegrinst, bei einer Besprechung war ihr dieser Fauxpas ein einziges Mal passiert.
Aber Artur sah sie bloß erwartungsvoll an.
    »Ich habe
ihm einen Schuh ausgezogen. Und dann den anderen. Der Leo und die anderen haben
mich ganz verdattert angeschaut. Und dann …«
    Sie konnte
sich eine kleine Kunstpause einfach nicht verkneifen, Pestallozzi wartete geduldig.
    »Der hat
Linsen in den Schuhen gehabt! Wir haben im ersten Moment gar nicht gewusst, was
das ist! Weil die so verfärbt und zerquetscht waren. Die Socken waren zerrissen
und seine Fußsohlen waren ganz blutig. Der Mann hat Linsen in seinen Schuhen gehabt.
Der ist auf Linsen gelaufen!«
    »Linsen?«
    Pestallozzi
merkte, dass er spontan zu laut gesprochen hatte. Die alte Kathi in der Küche drinnen
hatte es sicher gehört, und auch über die Loibnerin machte er sich keine Illusionen.
Die stand bestimmt gleich neben der Eingangstür an der Hauswand, um kein Wort zu
verpassen. Aber es war sowieso vergebliche Hoffnung, gerade in diesem Fall Diskretion
zu erwarten. Der ganze Ort, ja die ganze Gegend war bestimmt schon in Aufruhr, die
ersten Journalisten würden noch heute ausschwärmen und jeden Käfer befragen, der
dem Baron Gleinegg jemals über den Weg gekrabbelt war. Es war ein Skandal, ein Megaskandal,
ein Großereignis, das weit über die Grenzen dieses Landes Aufsehen erregen würde.
Diese Tatsache hatte er bis jetzt von sich geschoben, droben vor der Bank, hier
in dieser unwirklich friedlichen Küche. Aber er hatte nur mehr eine kurze Frist,
bis das Chaos und die Erwartungen aus den Chefetagen bis hinauf zum Ministerium
und der Medienrummel über ihn hinwegfluten würden. Und jetzt hatte das Opfer also
Linsen in den Schuhen getragen. Er versuchte sich vorzustellen, wie sich das wohl
anfühlen musste, und zog unwillkürlich die Zehen ein.
    Lisa sah
ihn an, gespannt und erwartungsvoll und ein bisschen unsicher. Ihr Haar kringelte
sich rund ums Gesicht in feuchten Löckchen, sie roch ganz leicht nach Schweiß und
nach Mandarinen, höchstwahrscheinlich von einem Deospray, der oben am Berg vor der
Bank mit den Fliegen und dem Blut und dem Kot die versprochene 24-Stunden-Wirkung
aufgegeben hatte. Lisa war eine der alleinerziehenden Mütter in seinem Team, sie
jonglierte zwischen malträtierten Leichen auf ihrem Seziertisch, einer pubertierenden
Tochter und einem kleinen Sohn im Kindergarten hin und her und jammerte nie, er
hegte großen Respekt für sie.
    »Linsen«,
sagte er noch einmal gedankenvoll. »Also, das ist einmal etwas Neues. Gut gemacht,
Lisa. Ich komme dann nach, wir sehen uns noch.«
    Sie strahlte
ihn an.
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