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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag
Autoren: Heinz G. Konsalik
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geringste Regung war.
    Es war gegen zwei Uhr morgens, als Valentina aufstand und vom Tisch das spitze Messer nahm, mit dem Tschernowskij die Apfelsinen geschält hatte.
    Ohne einen Funken Erregung, ohne das geringste Zittern, mit halb geschlossenen, toten Augen kam sie zum Bett zurück, tastete mit den Fingerspitzen über die nackte Brust Tschernowskijs, suchte zwischen den linken Rippen den Hohlraum, in den man mühelos eindringen konnte … und dann hob sie das spitze Messer hoch empor, fixierte noch einmal die ertastete Stelle und stieß die Klinge mit aller Kraft in die Brust.
    Andrej Mironowitsch Tschernowskij zuckte einmal hoch. Seine Augen öffneten sich, suchten nach einer Erklärung, suchten das plötzlich weggleitende Licht, suchten ein Verstehen. Seine Hände umklammerten die Hüften Valentinas … und das war es, was alle ihre Beherrschung wegnahm, was sie rasend machte vor Angst, sie könnte falsch zugestoßen haben. Mit klappernden Zähnen riß sie das Messer aus der Brust und stieß wieder zu, immer und immer wieder, ohne zu zählen, immer in diese Brust hinein, bis das Blut alles unübersichtlich machte und sie, aus dem Rausch der Rache erwachend, merkte, daß sie längst einen Toten mißhandelte.
    Nach dem letzten Zustoßen ließ sie das Messer in der zerfleischten Brust Tschernowskijs, ging völlig ruhig zum Badezimmer, wusch sich gründlich und zog eines der Kleider an, die Tschernowskij ihr in Prag gekauft hatte und die in seinem Schrank hingen. Darauf trank sie noch einen Kognak, schloß die Schlafzimmertür, ohne einen Blick auf den Toten zu werfen, und nahm den Hörer ab.
    Es meldete sich die Zentrale des Hotels.
    »Wer ist der wachhabende Offizier?« fragte die Kysaskaja mit ruhiger und klarer Stimme.
    »Major Krawschenkow, Genossin.«
    »Sagen Sie ihm bitte, er möchte zu Oberst Tschernowskij kommen.«
    »Sofort, Genossin.«
    Valentina legte auf und wartete. Es dauerte nur ein paar Minuten, da klopfte es an die Tür. Sie stand vom Schreibtischsessel auf und öffnete. Major Krawschenkow trat ein und sah sich um.
    »Der Genosse Oberst will mich sprechen?« fragte Krawschenkow und bewunderte Valentina in ihrem kniefreien westlichen Kleid.
    »Ja, Major. Nebenan im Schlafzimmer. Gehen Sie nur hinein.«
    Bereits drei Stunden später, um fünf Uhr morgens, wurde Valentina Konstantinowna Kysaskaja mit einer Militärmaschine nach Moskau geflogen.
    Oberst Tschernowskij begleitete sie … in einem einfachen, schmucklosen, schmalen Fichtensarg, in den er gerade hineinpaßte.
    *
    Um halb vier Uhr morgens weckte Pilny, der die letzte Wache hatte, Muratow und Irena. Sie waren sofort hellwach, warfen die Decken ab, die sie zurückließen, knöpften die Uniformen zu, stülpten die Mützen auf und tranken den letzten Schluck heißen Kaffee aus den Thermosflaschen.
    Muratow und Pilny kontrollierten noch einmal ihre Maschinenpistolen. Irena schob das Magazin in die schwere sowjetische Pistole und klemmte sie zwischen das Koppel vor den Bauch.
    »Es wird Zeit«, sagte Pilny. »Jetzt geht es um Minuten.«
    Sie marschierten los, auf Zehenspitzen, und vermieden jeden Laut. So erreichten sie den Waldrand. Die Wachttürme standen im fahlen Dunkel wie ungeschlachte Riesen mit flachen Mützen. Der neue Scheinwerfer im rechten Turm war außer Betrieb. Jetzt, in der beginnenden Morgendämmerung, war es Verschwendung, das Grauweiß der leichten Bodennebel anzuleuchten. Wie ein kahler Tisch lag der Todesstreifen vor ihnen. Feindlich, abstoßend, warnend. Die weißen, zerflatternden Schwaden, die über die Erde wehten, wirkten wie Leichentücher.
    Pilny sah kurz auf seine Uhr.
    »Noch zwanzig Minuten, bis die russische Patrouille kommt. Zwölf bis fünfzehn Minuten brauchen wir. Es stimmt fast auf die Sekunde … wenn die Russen pünktlich sind.«
    »Ein sowjetischer Soldat ist wie eine Uhr.« Muratow schob die Maschinenpistole vor den Bauch. Es war die typische Haltung eines Rotarmisten. »Gehen wir?«
    Noch einmal blickte Pilny lange und stumm Irena an. Dann umarmte er sie, zog sie an sich und küßte sie auf die kalten, zusammengepreßten Lippen. Muratow sah weg, hinauf in den fahl werdenden Morgenhimmel und dann über den nebelwallenden Todesstreifen.
    »Ich liebe dich, Irena«, sagte Pilny leise.
    Und sie antwortete mit ruhiger Stimme: »Ich liebe dich auch, Karel. Und nun laß uns gehen –«
    »Ich mache den Anfang«, sagte Muratow. »Der Offizier geht immer zuerst. Ich habe mir den Weg genau gemerkt. Los denn!«
    Sie
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