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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ebenso freundlich. »Ich ersticke in Akten.« Mit der freien linken Hand faltete er die ›Prawda‹ zusammen und schob sie über die Tischplatte weg. »Sie wissen ja, diese unruhigen Tschechen! Seit sie Novotny aus dem ZK geworfen haben und ein paar Feuerköpfe plötzlich auf die Idee gekommen sind, man könne Kommunisten und westliche Dekadenz paaren und die daraus erwachsende Mißgeburt als neuen Geist aufziehen, habe ich kaum noch Ruhe.«
    »Deshalb möchte ich Sie sprechen, Andrej Mironowitsch. Kommen Sie doch bitte zu mir.«
    Im Zimmer General Ignorows sah es immer aus, als habe er die Putzfrauen beleidigt und sie hätten ihm dafür die Papierkörbe auf den Boden geleert. Überall lagen Akten und Blätter herum, Fotos und Zeitungen, Bücher und Zeitschriften, und inmitten dieser Hügel von Bedrucktem hockte Ignorow, böse und lederhäutig, mit gelben Augäpfeln und kurzgeschnittenem, grauem Bürstenhaar.
    Tschernowskij gab ihm die Hand und setzte sich auf einen Stuhl, auf dem ein Stapel tschechischer Zeitungen lag. Er machte sich nicht die Mühe, sie wegzuräumen, sondern hockte sich oben drauf. Ignorow musterte neidvoll den hellgrauen Anzug Tschernowskijs, den rotblaugrün gemusterten Schlips, das Perlonhemd und die hellbraunen, weichen Schuhe in Mokassinform.
    »Rom?« fragte er knurrend.
    »Nein, Wien.« Tschernowskij lächelte. »Wenn Sie die Adresse wollen, Pawel Antonowitsch –«
    »Komme ich aus diesem Mistladen raus?! Sagen Sie selbst: Ist das noch ein Leben? Die Welt ist verrückt! Seitdem in Prag ein paar Reformer ihren Hintern gegen den Wind halten, rollt eine Woge von feindlichen Kommentaren und revanchistischen Spekulationen auf uns zu. Sehen Sie sich um … alles von gestern und heute! Und immer das gleiche: Eine Ohrfeige für Moskau. Der Reformkurs in Prag eine Absage an den starren Kommunismus. Endgültige Abkehr von Stalin. Der Kommunismus reinigt sich selbst.« Ignorow hieb mit der Faust auf den Tisch. »Hält man uns für Idioten, Andrej Mironowitsch? Ich glaube, der Westen sieht uns noch immer als den Muschik, der, mit Wollappen um die Füße und verlaustem Vollbart, eimerweise die Scheiße auf die Felder trägt! Aber das wird sich ändern, das ändert sich gründlich. Ich habe vor einer halben Stunde interessante Informationen aus dem Kreml bekommen. General Pawlowskij hat geheime Sondervollmachten erhalten. Drei Armeen stehen bereit. Unsere Dienststelle hat die Aufgabe, eine genaue Liste aller Journalisten, Schriftsteller und Redakteure aufzustellen, die den plötzlichen Rückenwind in Prag als neuen Frühlingssturm bezeichnen.« Ignorow griff in den Haufen Papiere auf seinem breiten Tisch und zog eine Mappe hervor. Der Deckel hatte quer von links nach rechts einen dicken roten Streifen. »Hier ist diese Liste, Andrej Mironowitsch. Sie hat nur einen Fehler: Sie enthält kaum Namen aus den Studentenkreisen. Unsere V-Männer aber bezeichnen gerade die Universität als eine der Hauptquellen, aus denen das neue Prager Heilwasser sprudelt.«
    Oberst Tschernowskij blätterte die Bogen durch, las Namen und Adressen, sah hinter einigen Namen kleine Kreuze – sicherlich waren das besonders gefährliche Burschen – und wußte damit nichts anzufangen. Er legte die Mappe zurück auf den Papierberg.
    Tschernowskij erinnerte sich an Prag.
    Das goldene Prag. Eine der schönsten Städte der Welt. Das ›Rom des Nordens‹ nannte es einmal der französische Bildhauer Auguste Rodin. Jahrhunderte waren hier zu Stein geworden, verewigt in Kirchen und Palästen. Man konnte durch diese Stadt wandern und die Geschichte Europas erleben … die Strenge des romanischen Denkens, die himmelanbetende Gotik, die luxuriöse Lebensfreude der Renaissance, den atemberaubenden Prunk des Barock … alles war hier lebendig geblieben, atmete aus den Steinen, den Häusern und Gärten, den Orgeln und Türmen, den Gassen und Brücken. Die Königsburg – der Hradschin –, der St. Veits-Dom, die alte Brücke Karls IV. über die Moldau, über die die Krönungszüge schritten unter dem Geläut Hunderter von Glocken, die Adelspaläste und die Altstadt, wie mit dem verliebten Pinsel eines verträumten Malers ersonnen. Eine Stadt, in der man sein Herz begraben konnte –
    »Sie waren schon einmal in Prag, Andrej Mironowitsch?« fragte Ignorow. Tschernowskij kehrte fast erschrocken aus seiner Erinnerung zurück.
    »Ja. Zweimal. 1945, als wir es von den Deutschen befreiten. Ich war damals Oberleutnant. Und dann vor vier Jahren. Ich
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