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Bluthochzeit in Prag

Bluthochzeit in Prag

Titel: Bluthochzeit in Prag
Autoren: Heinz G. Konsalik
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auseinander! Tun Sie etwas!«
    »Ich habe keinen Befehl«, sagte der Polizist ruhig und drehte sich weg.
    Der kleine dicke Mann machte einen Luftsprung wie ein Gummiball und rannte dann in das nächste Geschäft. »Ein Telefon! Wo ist das Telefon?« schrie er. »Ich muß die Parteileitung anrufen! Das ist unerhört … unerhört … das ist ja ein Aufstand –«
    Zehn Minuten später – der Trauerzug hatte sich vor dem Nationalmuseum aufgestellt und sang leise die Internationale, die rote Fahne mit dem Trauerflor senkte sich über den Armensarg, die auf einige hundert Menschen angewachsenen Zuschauer applaudierten – rasten zwei Bereitschaftswagen der Polizei den Wenzelsplatz hinauf. Sie bremsten vor dem Sarg und spien vierzig mit Knüppeln bewaffnete Polizisten aus.
    Ein Pfeifkonzert empfing sie. »Auseinander!« schrien die Polizisten. Sie bildeten eine Kette und rückten auf den Block der schwarzen Leiber vor, der sich um den Sarg gebildet hatte. »Seid vernünftig! Auseinander!«
    Die schwarze Mauer wankte nicht. Trotzig, den Kopf hoch erhoben, sahen die Studenten und Studentinnen die Polizisten an. In ihren Blicken lag die Frage, stumm, aber darum deutlicher: Wie denkt ihr? Warum habt ihr Knüppel in der Hand? Liebt ihr nicht auch die Freiheit?
    Ein Polizeioffizier trat vor die Linie. Er war ein junger Mensch, kaum älter als die Studenten in den schwarzen Anzügen und den altmodischen hohen Zylindern.
    »Wir können euch verstehen«, sagte er stockend. »Aber versteht auch uns. Wir haben einen Befehl. Wir wollen nur den Sarg … ihr selber könnt nach Hause gehen. Mein Gott, macht doch keine Schwierigkeiten. Gebt den Sarg heraus und die Spruchbänder, das ist alles.«
    Die schwarze Mauer stand. Schweigend, trotzig. Hinter ihnen war der Sarg, flatterte die rote Fahne. Um sie herum klatschten die Menschen Beifall.
    »Ich möchte euch nicht auseinandersprengen«, sagte der junge Offizier wieder. Er sah über die Köpfe der Studenten hinweg. Hinter drei Reihen sich untergehakter Männer standen die Mädchen wie eine mehrfach verschlungene Kette um den Sarg. Junge, hübsche Dinger, mit kurzen Röcken, langen Haaren, schlanken Beinen. Sie lächelten die Polizisten an.
    Schlagt doch, Brüder. Erobert den Sarg. Noch kann man die Redefreiheit niederknüppeln … aber die Sonne steigt empor. Könnt ihr die Sonne aufhalten? Könnt ihr das Meer mit den Armen zurückdrängen? Nicht anders ist es mit dem Geist. Ihr könnt die Schädel einschlagen – – – die Gedanken wachsen woanders weiter. Keine Saat ist so fruchtbar wie der Geist der Freiheit.
    *
    Im Funkhaus, in der Vinohradska trida 12, packte Karel Pilny, ein schlanker junger Mann von sechsundzwanzig Jahren, seinen Tonbandkoffer, Mikrofone und zwei Kameras in den Wagen. In der Redaktion ›Lokales-Aktuelles‹ hatte es Alarm gegeben.
    »Karel – raus!« hatte der Chefredakteur durch die Sprechanlage gerufen. »Zum Wenzelsplatz! Dort Studenten-Demonstration gegen Novotny und den alten Parteikurs. Halten Sie den Bericht neutral. Nur Tatsachen, sonst nichts. Keinen eigenen Kommentar!«
    Karel Pilny seufzte und rannte zu seinem Wagen. Bis zum Wenzelsplatz brauchte er zehn Minuten, und er kam genau zur richtigen Zeit an.
    Die Polizei stürmte gerade den Sarg und trieb die Studenten mit dem Gummiknüppel vor sich her. Wie ein aus großer Höhe gestürzter Tintenklecks spritzten die dunklen Gestalten auseinander, rannten nach allen Richtungen davon, sprangen auf fahrende Straßenbahnen oder wurden von Autofahrern, die schnell ihre Türen öffneten, in die Wagen gezogen.
    Karel Pilny hängte sich den Tonbandkoffer um, steckte das Mikrofon mit der Klemme vorn an seine Jacke und wollte aus dem Auto springen, um noch die letzten Minuten für eine Reportage festzuhalten, als ein Mädchen auf ihn zulief. Die langen blonden Haare wehten hinter ihr her, in der Hand schwenkte sie beim Laufen das heruntergerissene schwarze Kopftuch, mit eingezogenem Kopf hetzte sie über den Wenzelsplatz, brach aus der Kette der Polizisten hervor und suchte Schutz.
    Pilny handelte, ohne lange zu überlegen. Er ließ die Wagentür offen, rannte dem Mädchen entgegen, es waren nur ein paar Schritte, sie prallten zusammen, da faßte er ihre Hand und riß sie mit sich zurück zum Auto. Sie wehrte sich verzweifelt, wollte sich loszerren, und als sie merkte, daß sein Griff eisenhart und so nicht zu lösen war, beugte sie sich blitzschnell hinunter und biß ihn in die Hand.
    Karel Pilny stieß einen
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