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Blutgier - Ein Alex-Delaware-Roman 21

Titel: Blutgier - Ein Alex-Delaware-Roman 21
Autoren: Jonathan Kellerman
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gefesselt?«
    »In der zweiten Nacht, das war alles in der zweiten Nacht. Davor war er ganz okay, doch dann fing er an rumzuspinnen. Ich hab ihn gelassen, weil ich Angst hatte. Die ganze Sache … ich war so schrecklich blöd.«
    Sie zog breite Strähnen ihrer blonden Haare nach vorn und verbarg ihr Gesicht dahinter. Ich musste an einen Spaniel bei einer Hundeschau denken. Wenn Hundeführer ihm die Ohren über die Nase legen, um dem Preisrichter den Schädel zu präsentieren.
    »Dylan hat Ihnen Angst eingejagt.«
    »Er hat sich lange Zeit nicht bewegt«, sagte sie.
    »Haben Sie sich Sorgen gemacht, Sie hätten die Fesseln zu fest angezogen?«
    Sie ließ die Haare los, hielt den Blick aber zu Boden gesenkt. »Ehrlich, ich kann Ihnen nicht mal jetzt sagen, warum er das gemacht hat. Vielleicht war er tatsächlich bewusstlos, vielleicht hat er zu hundert Prozent eine Show für mich abgezogen. Er ist … es war wirklich seine Idee, Doktor. Ehrenwort.«
    »Dylan hat sich die ganze Sache ausgedacht?«
    »Alles. Zum Beispiel, dass wir uns Stricke besorgen und wo wir hingehen sollten.«
    »Wie ist er auf den Latigo Cañon gekommen?«
    »Er hat gesagt, er wäre da gewandert, er macht gern alleine Wanderungen, es hilft ihm, sich auf eine Rolle vorzubereiten.« Ihre Zungenspitze glitt über die Unterlippe und hinterließ eine glänzende Spur von Feuchtigkeit wie eine Schnecke.
    »Er sagt auch, dass er eines Tages dort ein Haus haben wird.«
    »Im Latigo Cañon?«
    »In Malibu, aber am Strand, beispielsweise in der Colony. Er nimmt das wahnsinnig ernst.«
    »Was seinen Beruf angeht?«
    »Es gibt Leute, die wirklich alles in eine Szene legen, verstehen Sie? Aber wissen die nachher auch, wann sie damit aufhören sollen? Dylan kann cool sein, wenn er einfach er selbst ist, aber er hat diesen unglaublichen Ehrgeiz. Das Cover von People , will die Stelle von Johnny Depp einnehmen.«
    »Worauf richtet sich Ihr Ehrgeiz, Michaela?«
    »Mein Ehrgeiz? Ich will nur arbeiten. Fernsehen, Film, Serien, Werbespots, egal was.«
    »Damit wäre Dylan nicht glücklich.«
    »Dylan will die Nummer eins auf der Liste der attraktivsten Männer sein.«
    »Haben Sie seit der Übung mit ihm gesprochen?«
    »Nein.«
    »Wessen Entscheidung war das?«
    »Lauritz hat mir gesagt, dass ich mich von ihm fernhalten soll.«
    »Standen Sie und Dylan sich vorher ziemlich nahe?«
    »Ich glaube schon. Dylan hat gesagt, wir passten von Haus aus gut zusammen. Das ist vermutlich der Grund dafür, dass ich mich … habe mitreißen lassen. Die ganze Sache war seine Idee, aber er hat mir da oben eine Heidenangst eingejagt. Ich rede mit ihm und schüttle ihn, und er sieht wirklich … Sie wissen schon.«
    »Tot aus.«
    »Ich hab natürlich noch nie in Wirklichkeit einen Toten gesehen, aber als ich jung war, hab ich mir gern Splatter-Streifen angeschaut. Jetzt nicht mehr. Ich verliere zu leicht die Fassung.«
    »Was haben Sie gemacht, als Sie dachten, dass Dylan tot aussieht?«
    »Ich hab mich schrecklich aufgeregt und angefangen, das Seil am Hals loszubinden, und er hat sich immer noch nicht bewegt, und er hatte den Mund offen und sah wirklich...« Sie schüttelte den Kopf. »Bei der Atmosphäre da oben bin ich regelrecht ausgeflippt. Ich hab angefangen, ihm ins Gesicht zu schlagen und ihn anzuschreien, dass er damit aufhören soll. Sein Kopf ist einfach weiter hin und her gerollt. Wie bei einer der Lockerungsübungen, die Nora uns vor einer großen Szene machen lässt.«
    »Gruselig.«
    »Gruselig und furchterregend. Ich bin Legasthenikerin, nicht richtig schlimm, keine Analphabetin oder so, ich kann ganz gut lesen. Aber ich brauche ziemlich lange, um mir Wörter zu merken. Ich meine, ich kann meine Sätze auswendig lernen, aber ich muss wirklich hart arbeiten.«
    »Dylan so zu sehen hat Ihnen mehr Angst eingejagt, weil Sie Legasthenikerin sind?«
    »Weil ich durcheinander war und nicht richtig denken konnte. Und als ich dann noch Angst bekam, wurde alles verschwommen. Meine Gedanken ergaben keinen Sinn - als ob man in einer anderen Sprache wäre, wissen Sie?«
    »Sie waren desorientiert.«
    »Ich meine, schauen Sie mal, was ich getan habe«, sagte sie. »Ich hab mich losgebunden, bin den Hügel raufgeklettert und raus auf die Straße gerannt, ohne mir auch nur meine Sachen anzuziehen. Ich muss desorientiert gewesen sein. Hätte ich das getan, wenn ich bei Verstand gewesen wäre? Dann, nachdem der alte Typ, der auf der Straße, der mich …« Ihr Stirnrunzeln erreichte
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