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Blutgier - Ein Alex-Delaware-Roman 21

Titel: Blutgier - Ein Alex-Delaware-Roman 21
Autoren: Jonathan Kellerman
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hören.
    Der Pick-up blieb stehen.
    Charley machte sein Hemd los und stieg aus. Seine Brust war ihm zu eng, und er bekam keine Luft in seine Lunge. Wäre das nicht die Krönung des Ganzen: dass er nur deshalb vom Sturz in den Abgrund verschont geblieben war, um einem Herzinfarkt zum Opfer zu fallen.
    Er keuchte und schluckte Luft, spürte, wie sein Gesichtsfeld schwarz wurde, und stützte sich gegen den Pick-up. Die Karosserie knarrte, und Charley sprang zurück und hatte wieder das Gefühl zu fallen.
    Ein Schrei zerschnitt den Morgen. Charley öffnete die Augen, richtete sich auf und sah das Mädchen. Rote Stellen an den Handgelenken und den Knöcheln. Blaue Flecken am Hals.
    Ein schöner junger Körper, ihre wohlgeformten Brüste hüpften auf und ab, während sie auf ihn zulief - es war eine Sünde, solche Gedanken zu haben, sie war zu Tode erschrocken, aber was konnte einem bei solchen Titten denn noch auffallen?
    Sie lief mit weit geöffneten Armen weiter auf Charley zu, als ob sie wollte, dass er sie festhielt.
    Aber sie schrie und hatte diesen irren Blick in den Augen, so dass er nicht genau wusste, was er tun sollte.
    Das erste Mal seit langem, dass er einer nackten Frau so nahe gekommen war.
    Er vergaß die Titten, an der Situation war nichts sexy. Sie war ein Mädchen, jung genug, um seine Tochter zu sein. Seine Enkelin.
    Diese Flecken an ihren Handgelenken und Knöcheln, an ihrem Hals.
    Sie schrie erneut.
    »Ogottogottogott.«
    Jetzt stand sie direkt vor ihm, blonde Haare peitschten ihm ins Gesicht. Er konnte ihre Angst riechen. Die Gänsehaut auf ihren hübschen, braun gebrannten Schultern sehen.
    »Hilfe!«
    Das arme Kind zitterte.
    Charley nahm sie in die Arme.

2
    L.A. ist der Ort, wo man landet, wenn man nirgendwo anders mehr hinkann.
    Vor langer Zeit war ich von Missouri nach Westen gefahren, ein Sechzehnjähriger mit einem Highschool-Abschluss und einem Teilstipendium für die Uni in der Tasche und einem Kopf voller Verzweif lung.
    Der einzige Sohn eines Vaters, der ein launischer Alkoholiker war, und einer Mutter, die unter chronischer Depression litt. Auf dem flachen Land hielt mich nichts.
    Während ich wie ein Kind armer Leute von studienbegleitenden Praktika und gelegentlichen Gigs als Gitarrist in Bands lebte, die auf Hochzeiten spielten, beendete ich schließlich mein Studium. Verdiente etwas Geld als Psychologe und sehr viel mehr durch glückliche Kapitalanlagen. Konnte mir das HAUS IN DEN HÜGELN leisten.
    Das mit den Frauen war eine andere Geschichte, aber das wäre ohnehin so gewesen, egal, wo ich wohnte.
    Damals, als ich noch Kinder behandelte, hatte ich routinemäßig die Anamnese der Eltern aufgenommen und erfahren, wie Familienleben in L.A. aussehen konnte. Leute, die jedes oder jedes zweite Jahr ihre Sachen packten und umzogen, die Kapitulation vor dem Impuls, der Tod des häuslichen Rituals.
    Viele der Patienten, die zu mir kamen, wohnten in von der Sonne ausgedörrten Wohnsiedlungen ohne andere Kinder in der Nähe und verbrachten jeden Tag Stunden damit, mit dem Bus in beigefarbene Korrale, die behaupteten, Schulen zu sein, und von dort wieder nach Hause gekarrt zu werden. Lange, elektronische Nächte wurden von Kathoden ausgebleicht und von der gerade angesagten wütenden Musik plattgehämmert. Von Schlafzimmerfenstern hatte man die Aussicht auf verschwommene Meilen und Abermeilen einer Nachbarschaft, die nicht wirklich als solche bezeichnet werden konnte.
    In L.A. hatte man jede Menge imaginäre Freunde. Das war vermutlich nicht zu vermeiden. Es ist schließlich eine Firmenstadt, und das Produkt heißt Phantasie.
    Die Stadt tötet Gras mit roten Teppichen, verehrt Ruhm um seiner selbst willen, reißt mit Begeisterung historische Gebäude ab, weil das Spiel mit den hohen Einsätzen Gib Dir ein Neues Image heißt. Wenn man vor seinem Lieblingsrestaurant auftaucht, findet man wahrscheinlich ein Schild vor, das eine Pleite hinaustrompetet, und Fenster, die mit braunem Papier zugeklebt sind. Wenn man einen Freund anruft: Kein Anschluss unter dieser Nummer.
    Keine Nachsendeadresse. Könnte zum städtischen Motto erhoben werden.
    In L.A. musst du ziemlich lange verschwunden sein, bevor irgendjemand es für ein Problem hält.
     
     
    Als Michaela Brand und Dylan Meserve verschwanden, schien niemand es zu bemerken.
    Michaelas Mutter war eine ehemalige Kassiererin in einem Truckerlokal, die mit einem Sauerstoffbehälter in Phoenix lebte. Ihr Vater war nicht bekannt, vermutlich einer der
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