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Blutflüstern: Novelle (German Edition)

Blutflüstern: Novelle (German Edition)

Titel: Blutflüstern: Novelle (German Edition)
Autoren: Kim Harrison
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»Nein.«
    Schweigend lehnte sich meine Mom in ihrem Stuhl zurück und entzog sich so dem ausbrechenden Streit.
    »Schau dich an«, sagte mein Bruder nach einem vorsichtigen Blick auf unsere Mom. »Du bist in Ohnmacht gefallen. Du kannst es nicht.«
    »Das reicht, Robbie«, sagte Mom. Ich starrte sie an, weil ihr Rückhalt mich überraschte. Aber Robbie drehte sich nur in seinem Sitz zu ihr um. »Mom, wir müssen das logisch sehen. Sie kann es nicht, und wenn du sie glauben lässt, dass sie es doch kann, machst du es nur schlimmer.«
    Ich starrte ihn an und fühlte mich, als hätte er mir einen Tritt versetzt. Als er mein Entsetzen sah, rutschte Robbie unangenehm berührt auf seinem Stuhl hin und her. »Rachel ist eine verdammt gute Hexe«, sagte er plötzlich nervös. »Sie hat einen arkanen Erdzauber der achthundertsten
Ebene angerührt. Mom, weißt du, wie schwer die sind? Ich konnte es nicht! Aber wenn sie zur I.S. geht, ist das alles verschwendet. Außerdem nehmen sie sie sowieso nicht, wenn sie am Ende eines Auftrages bewusstlos wird.«
    Es war ein arkaner Zauber? Das hat er mir nicht gesagt . Vor lauter Überraschung hielt ich den Mund, aber nur meine verdammte Erschöpfung hielt mich davon ab, ihn anzuspringen und zu schlagen. Er hatte es ihr erzählt. Er hatte nie behauptet, dass er es nicht tun würde, aber das war eine ungeschriebene Regel, und er hatte sie gerade gebrochen.
    »Du hast ihr einen arkanen Zauber der achthundertsten Ebene vorgelegt?«, fragte meine Mom mit kühler Stimme und ich wurde bleich, als ich mich an die Utensilien erinnerte, die wir ohne ihr Wissen benutzt hatten.
    Robbie wandte den Blick ab und ich war froh, dass nicht ich es war, die so böse angestarrt wurde. »Ich kann sie in eine tolle Uni reinbringen«, sagte er zum Boden. »Die I.S. wird sie nicht nehmen, und sie weiterhin zu ermuntern ist schlichtweg grausam.«
    Grausam? , dachte ich, während mir Tränen in die Augen traten. Grausam war es, meine Hoffnungen mit Füßen zu treten. Grausam war es, mich herauszufordern und mir nach bestandener Prüfung zu sagen, dass ich trotzdem verloren hatte, weil ich am Ende hingefallen war.
    Aber er hatte Recht. Es spielte eine Rolle, dass ich in Ohnmacht gefallen war. Und noch schlimmer, die I.S. wusste es. Sie würden mich jetzt niemals den körperlichen Test bestehen lassen. Ich war schwach und zerbrechlich. Ein schwaches Mädchen.
    Ich schnüffelte lautstark, und meine Mom warf mir einen
kurzen Blick zu, bevor sie sich wieder an meinen Bruder wandte. »Robbie, kann ich mal kurz mit dir reden?«
    »Mom …«
    »Jetzt.« Ihre Stimme war scharf und ließ keinen Widerspruch zu. »Geh ins Haus.«
    »Ja, Ma’am.« Wütend stand er auf, ließ seinen Stock samt Marshmallow ins Feuer fallen und stampfte nach drinnen. Ich zuckte zusammen, als die Tür hinter ihm zuknallte.
    Meine Mom seufzte schwer, zog den Stock aus dem Feuer und stand auf. Ich sah sie nicht an, als sie mir den Marshmallow gab. Jetzt war alles raus, und ich konnte noch nicht einmal vorgeben, ich wäre dazu fähig, das zu tun, was ich wollte; das, was meinen Puls zum Rasen brachte und mir das Gefühl vermittelte, ich wäre lebendig.
    »Ich bin gleich zurück«, sagte sie und drückte meine Schulter. »Ich wollte dir das eigentlich zum Sonnenaufgang geben, aber ich will, dass du es jetzt aufmachst – bevor der Tag anbricht.«
    Ihre schlanken, aber starken Hände zogen eine Karte und ein kleines Geschenk aus ihren Taschen und legten beides auf meinen Schoß.
    »Fröhliche Sonnenwende, Liebes«, sagte sie. Eine einzelne Träne rann mir über die Wange, als sie Robbie ins Haus folgte. Todunglücklich wischte ich die kalte Spur weg. Es war nicht fair. Ich hatte es geschafft. Ich hatte einen Geist beschworen, wenn auch nicht Dad. Ich hatte geholfen, das Leben eines kleinen Mädchens zu retten. Warum stank dann meines zum Himmel?
    Ich ließ Robbies Marshmallow verbrennen, zog meine Handschuhe aus und schob einen kalten Finger unter die
Klappe des Umschlages. Wieder weinte ich, als ich darin meine I.S. – Bewerbung fand, unterschrieben von meiner Mutter. Ich blinzelte heftig und stopfte sie zurück in den Umschlag. Ich hatte die Erlaubnis, aber das bedeutete nichts mehr.
    »Und was bist du?«, fragte ich jämmerlich das Kästchen. »Ein Paar Handschellen, die ich nie benutzen werde?« Das Paket hatte ungefähr die richtige Größe.
    Ich starrte für einen Moment zu den pinkfarbenen Wolken hoch und hielt den Atem an. Als ich
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