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Blut will Blut

Blut will Blut

Titel: Blut will Blut
Autoren: Linda Barnes
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fühlte nach den Dietrichen
in seiner linken Gesäßtasche und lächelte. Um ein Haar hätte er sie einem
befreundeten Polizei-Sergeant gegeben, nachdem er beschlossen hatte, daß der
Beruf des Privatdetektivs nichts für ihn war. Er hatte sich eingeredet, sie
fortgeworfen zu haben, bis er sie in der untersten Schreibtischschublade
wiedergefunden hatte.
    Spraggue bezahlte seine
Rechnung, verbeugte sich vor der winzigen Kellnerin und ging. Nach zwei Minuten
stand er wieder vor dem Theater.
    Der Nebeneingang war ein heißer
Tip. Er führte auf eine einsame Gasse. Die Hauptgefahr waren Straßenräuber,
nicht eine übereifrige Polizeistreife.
    Nach Jahren mit rechtmäßigen
Schlüsseln war seine Technik ein wenig eingerostet. Geduld. Langsame,
vorsichtige Arbeit würde diese winzigen Spuren um das Schlüsselloch vermeiden,
todsichere Hinweise auf einen Einbruch. Eine Minute dehnte sich wie eine
Ewigkeit dahin, dann knarrte die Tür, und Spraggue war drin.
    Der Nebeneingang führte ihn auf
einen langen Korridor neben der Schneiderei. Lagerräume auf seiner Linken
verströmten einen muffigen Geruch. Er stand bewegungslos da, wartete, bis sich
seine Augen auf die Dunkelheit eingestellt hatten. Dann schlich er leise auf
Gummisohlen den Korridor zur Bühne hinunter.
    Der Flur verlief etwa zwanzig
Meter geradeaus, gabelte sich dann. Nach rechts führte ein kurzer Durchgang zum
Malersaal und eine Treppe hinunter zu den Garderoben. Die Bühne lag direkt vor
ihm, hinter einer zweiflügeligen Tür. Spraggue hielt sich links. Dariens Büro
befand sich oben.
    Er hörte eine gedämpfte Stimme
und blieb wie angewurzelt stehen. Jemand war auf der Bühne. Jemand mit einem
Schlüssel, jemand, der ein Recht hatte, hier zu sein? Die Inspizientin? Oder
der Scherzbold?
    Nach sechs Schritten stand er
wieder vor der zweiflügeligen Tür. Langsam drehte er den Türknauf, öffnete
einen Spaltbreit den rechten Türflügel.
    Das Arbeitslicht brannte, der
Vorhang war unten. Deirdre, die große brünette Braut Draculas war allein, übte
eine Szene. Sie drehte sich um, sank auf einen harten Stuhl, als wäre es ein
bequemes viktorianisches, S-förmiges Sofa und fuhr mit ihrem Dialog fort:
    «Ach, John, du verstehst doch,
nicht wahr? Es tut mir so schrecklich leid, daß ich dir Sorgen gemacht habe.»
    Sie schwieg, hörte eine
imaginäre schmeichlerische Antwort und erwiderte: «Das freut mich, Liebling.
Das freut mich sehr. Mach dir um mich keine Sorgen mehr. Es ist alles in
Ordnung. Es sind nur diese Träume, John. Diese schrecklichen, schrecklichen
Träume...»
    Es war eine nette, schlichte
Vorstellung. Kindlich und weiblich in einem. Vertrauensvoll, aber auch zögernd.
Eine interessante Interpretation. Aber nicht die einer Vampir-Königin.
    Spraggue räusperte sich.
    «Wer ist da?»
    «Keine Angst», sagte er.
«Michael Spraggue. Ich wußte nicht, daß noch jemand hier ist.»
    Verdammt, sagte er sich stumm.
Ich hätte aber sollen.
    Ihr bleiches Gesicht entspannte
sich. «Ich auch nicht. Wie bist du reingekommen?»
    Spraggue lächelte. «Wie bist du reingekommen?»
    «Ich bin einfach geblieben. Ich
liebe leere Theater bei Nacht. Besonders dieses Theater hier. Es hat diese
wunderbaren Schwingungen. Wußtest du, daß sich hier ein Mann umgebracht hat?»
    «Habe davon gehört, ja.»
    «Er hat sich erhängt.» Ihre
Stimme spielte mit den Lauten. «Genau hier, mitten auf der Bühne. Was für eine
romantische Art zu sterben...»
    «Ich bezweifle, daß er das auch
so gesehen hat.»
    Sie lachte leise mit ihrem
Mund, doch ihr Blick war weit entfernt. «Würdest du eine Szene mit mir
spielen?»
    «Ich habe keine Szenen mit
Draculas Bräuten.»
    «Die Szene, die ich gerade
gespielt haben», sagte sie. «Das ist eine von deinen.»
    «Von mir und Lucy, richtig?»
    «Ja. Ich liebe diese Szene.
Unmittelbar nach den ersten Angriffen auf Lucy. Sie weiß, daß sie es dir
erzählen sollte, aber dieser Vampir hat so etwas Faszinierendes, etwas so Erotisches,
daß sie sich nur über ihre ‹schrecklichen Träume› beklagt.»
    «Ich fürchte, ich kann die
Szene noch nicht», sagte er. Wie konnte er die Frau loswerden? Würde sie die
ganze Nacht mit ihrer verträumten Stimme und diesem verträumten Blick
weiterquasseln?
    «Glaubst du an Träume?» fragte
Deirdre. «An Omen?»
    «Manchmal», erwiderte Spraggue
vorsichtig.
    Ihre Augen weiteten sich,
starrten ins Leere. «Ich schon. Ich hin nur die zweite Besetzung für Emma,
Michael, aber ich glaube, daß ich die Lucy
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