Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blut will Blut

Blut will Blut

Titel: Blut will Blut
Autoren: Linda Barnes
Vom Netzwerk:
und entspannte sich. Dr. John Seward tauchte nicht
vor dem zweiten Akt auf. Er kam aus England, nicht aus Transsilvanien. Der
erste Akt spielt in Transsilvanien, daran hätte er denken müssen.
    Er setzte sich in die erste
Reihe und schloß die Augen. Bei Schauspielern ging es die halbe Zeit um die
Frage, wann sie logen, die andere Hälfte darum, warum. Nur
selten, ob. Ein ganzes Leben mit den Worten anderer Menschen machte das
Lügen verdammt leicht.
    Erster Akt, dritte Szene.
Personen der Handlung: Draculas Bräute. Das dürften dann Georgina und die
dunkelhaarige Deirdre sein. Jonathan Harker: der große, blonde Greg Hudson, ein
Mann mit einer effeminierten Ausstrahlung — solange er nicht Emma Healey
anstarrte. Dracula selbst: John Langford. Spraggue machte es sich bequem. Es
war schon Jahre her, seit er Langford das letzte Mal auf einer Bühne gesehen
hatte. Der Mann war Magie. Das Image des Idols aller weiblichen Theaterbesucher
schadete ihm nicht, aber er hatte mehr als das, eine animalische
Anziehungskraft, durch die er sein Publikum in Bann zog, ob er nun Held oder
Schurke spielte. Was würde sein Dracula sein?
    Auf der Bühne schlief Jonathan
Harker, der englische Rechtsanwalt, hatte seinen vornehmen Körper auf einer
Chaiselongue in der Bibliothek des Vampirs ausgestreckt. Ja, diese Szene;
Spraggue erinnerte sich wieder an die Handlung. Harker war vom Grafen gewarnt
worden, in keinem anderen als seinem eigenen Schlafzimmer zu schlafen. Niemals.
Doch erschöpft durch die Anstrengungen des Fluchtversuchs aus dem Schloß, hatte
der Anwalt nicht gehorcht. Jetzt war es Nacht. Auftritt der Bräute Draculas.
    Die Frauen traten zu dem
schlafenden Mann.
    «Er wurde gewarnt», sagte die
Brünette. Sie lachte, und das Lachen war abgrundtief böse.
    «Und wir wurden
gewarnt», fügte Georgina zögernd hinzu. Ihre Miene war verschlagen. Sie wollte
den Mann. Aber etwas machte ihr angst.
    Ihre dunklere Begleiterin
leckte sich über die scharfen weißen Zähne. «Wir haben gehorcht. Der Meister
wird keinen Grund zur Klage haben.»
    «Dann solltest du ihn zuerst
küssen», schlug Georgina vor. «Du hast das Recht, die erste zu sein.»
    Harker auf der Chaiselongue
schlug die Augen auf und starrte wie gebannt die sich nähernden Bräute an.
    Die Frauen kamen näher. Deirdre
brach das Schweigen. «Er ist jung und stark. Genug Blut für uns beide.»
    Noch während sie sprach, beugte
sie sich über Harker und küßte ihn auf den Mund. Georgina stieß ein tiefes
Knurren aus. Die Verwandlung von Frauen in Bestien war gut gespielt — zwar
deutlich, aber auch wieder subtil genug, um im Rahmen des Möglichen zu bleiben.
Schockierend, aber kein Gelächter provozierend. Deirdre antwortete ebenfalls
mit einem Knurren, hob ihren langen Hals und bleckte die Zähne für den
tödlichen Biß.
    Ohne eingetreten zu sein, war
Dracula plötzlich im Raum. Ein Beleuchtungstrick oder ein Versenktisch? Oder
war Spraggues Aufmerksamkeit so sehr von der Szene auf der rechten Bühnenseite
gefesselt, daß er die Bewegung auf der linken Seite nicht registriert hatte?
    Langford war ganz in Schwarz
gekleidet. Kein Kostüm. Der dunkle Rollkragenpullover und die Hose würden auf
der Straße zu keinem zweiten Blick animieren. Es war der Mann, der darin steckte.
Er trug die unscheinbare Kleidung mit Flair. An ihm war es ein Kostüm.
Höchstwahrscheinlich hatte er in Vorbereitung auf diese Rolle seit Wochen
nichts anderes als Schwarz getragen, dachte Spraggue. Langford hatte den Ruf,
gewissenhaft und kompromißlos zu sein, was die Details betraf. Aber waren seine
Augenbrauen schon immer so schwarz und zottelig gewesen? Seine Haut so bleich?
Seine Wangenknochen so vorstehend? Wieviel davon war Maske und wieviel
schauspielerisches Talent?
    Wie auch immer. Er war Dracula. Beim Klang seiner Stimme erstarrten die beiden Frauen. Er packte
Deirdres Nacken. Mit dieser winzigen Bewegung schleuderte er sie quer durch den
Raum.
    «Wie könnt ihr es wagen, ihn
anzurühren? Wie könnt ihr es wagen, ihn auch nur anzusehen, wo ich es euch doch
verboten habe?»
    Georgina duckte sich, während
der Vampir tobte. Die dunkelhaarige Frau trotzte ihm.
    Sie lachte, ein kaltes, hohl
klingendes Geräusch. «Was erwartest du von uns? Sollen wir hungern? Die
Schönheit menschlicher Männer ignorieren? Wir sind nicht wie du. Du hast nie
geliebt.»
    «Du hast nie geliebt», echote
die Blondine.
    Der Vampirkönig wurde sanfter.
Er durchquerte den Raum, nahm die Frauen in die Arme. «Auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher