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BLUFF!

BLUFF!

Titel: BLUFF!
Autoren: Manfred Lütz
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sucht, vor dem könnte die wirkliche Geschichte nie bestehen und wir alle später auch nicht, wenn wir zu Geschichte geworden sind.
    Das Christentum ist kein überzeitlicher Idealismus. Die Christen glauben, dass Gott selbst als Jesus Christus in die Zeit eingetreten ist, geschichtlich geworden ist und auch weiter in der Geschichte wirkt. Für das Christentum ist Geschichte also nicht nebensächlich, wie für fernöstliche Meditationsformen, und deswegen ist es von der Fälschung der Geschichte auch so sehr betroffen. Dennoch werden die Christen von ihren heiligen Büchern davor gewarnt, an ihren geschichtlichen Erfolg zu glauben. Insofern sind Analysen, die dem Christentum geringere Marktanteile zuschreiben, für wirkliche Christen nicht besonders aufregend. Am Ende der Geschichte steht für die Bibel nicht der Triumph der Christen, sondern der große Abfall vom Glauben und ganz am Schluss die Apokalypse, die Wiederkunft Christi. Wer sich also am Ende bewährt, das entscheidet nicht die Statistik, das entscheidet nach christlicher Auffassung noch nicht einmal die Kirche, das entscheidet Gott, erstinstanzlich, beim Jüngsten Gericht.
     
    Die Fälschungen der Geschichte zu entlarven, ist schließlich ein Gebot der Bildung. Auch der Atheist trinkt aus einer Quelle, deren göttlichen Ursprung er leugnet. Er sollte ernsthaft wissen, von welcher Tradition er sich gelöst hat. Und auch für ihn, den Ungläubigen, sollte sich hierzulande seine Vorstellung von der evangelischen Kirche nicht auf die Alkoholfahrten von Bischöfinnen beschränken und die Sicht der katholischen Kirche nicht auf die leidigen ewigen Themen rund um die Geschlechtsorgane. Jedem Atheisten und jedem Christen müsste daher gleichermaßen daran gelegen sein, die Geschichte des christlichen Abendlands gut zu kennen. Dennoch wird es natürlich auch dann oder sogar gerade dann unterschiedliche Auffassungen von der Geschichte des Christentums geben. Doch nur auf eine solche Weise kann es eine aufgeklärte wirkliche Debatte zwischen aufgeklärten Atheisten und aufgeklärten Christen über das Wesentliche im Leben geben, in der niemand den anderen unterschätzt und in der man sich wirklich versteht. Dann kann sich möglicherweise jenes Wohlwollen einstellen, das, wie ein großer Mann einmal gesagt hat, wiederum Voraussetzung für das Verstehen ist.
     
    Wer die Fälschung der Welt durchschaut, kann sich also auch der Frage nach Gott wieder unbefangen stellen. Man kann sie nicht mathematisch beantworten und dann der anderen Seite, den Christen oder den Atheisten, wegen eklatanten Rechenfehlern mangelnde Intelligenz vorwerfen. Es gibt hochgescheite Christen und hochgescheite Atheisten. Man kann die Frage nach Gott nur beantworten, indem man auf die existenziellen Erfahrungen seines Lebens achtet. Gottesbeweise sind daher keine naturwissenschaftlichen Beweise, sie sind viel mehr. Gottesbeweise sind wie Liebesbeweise. Sie sind nicht zwingend, aber es sind die wichtigsten Beweise unseres Lebens. In meinem Buch »Gott – Eine kleine Geschichte des Größten« habe ich versucht, alle Argumente zusammenzutragen, die es für oder gegen Gott gibt. Jeder muss da seine höchstpersönliche Überzeugung finden und sich am Ende entscheiden: Entweder ist alles sinnlos, das Leben und der Tod, Liebe und Hass, Gut und Böse, und es gibt keinen Gott – oder es ist anders.
    Selbst Richard Dawkins, der auf den 575 Seiten seines voluminösen Buches gegen jeden Gottesglauben wütet, schreibt, nachdem er sich mit der rätselhaften Frage nach den Naturkonstanten bis hin zu oszillierenden oder gar multiplen Universen verlaufen hat, dann doch diesen einzigen kleinen Satz, der in Wahrheit seine ganze Argumentation in Frage stellt: »Wenn wir die exotische Vorstellung von einem Multiversum zulassen …, können wir den ganzen Zirkus auch lassen und uns gleich für Gott entscheiden.« So bleibt sogar bei Dawkins am Ende Ambivalenz. Von dieser Unentschiedenheit aber zur Entschiedenheit zu kommen kann nur dadurch gelingen, dass man existenziell die Wahrheit erkennt, und dazu darf man sich nicht von der Fälschung der Welt täuschen lassen, sondern muss den wirklichen, den existenziellen Erfahrungen Aufmerksamkeit schenken, die jeder Mensch macht. Denn diese Erfahrungen sind kein Bluff.
    Und so wird sich jeder von uns am Ende seines Lebens an genau diese Momente erinnern, in denen er geliebt hat und geliebt wurde, Schuld auf sich lud oder Opfer von Schuld war, oder in denen er Gott
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