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BLUFF!

BLUFF!

Titel: BLUFF!
Autoren: Manfred Lütz
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nach Gott ist wieder merkwürdig aktuell. Ein Philosoph wie Jürgen Habermas, der sich selbst als »religiös unmusikalisch« bezeichnet, scheint tief beunruhigt von der Frage nach der Zukunft von Staat und Gesellschaft und glaubt, dass ohne wirkliche Religion wohl kein wirklicher Staat zu machen sei. Man müsse den religiösen Bürger im säkularen Staat als religiösen Bürger ernst nehmen, sagte er in seiner berühmten Paulskirchenrede 2001. Im Jahre 2004 diskutierte er höchst lebendig und interessiert mit dem damaligen Kardinal Ratzinger. Auch anschließend äußerte er sich immer wieder zu diesen Fragen. Und der dann zum Papst gewählte Benedikt  XVI . erstaunte in seiner Ansprache 2011 in Freiburg mit den Worten: »Agnostiker, die von der Frage nach Gott umgetrieben werden … sind näher am Reich Gottes als kirchliche Routiniers, die in ihr (der Kirche) nur noch den Apparat sehen, ohne dass ihr Herz davon berührt wäre, vom Glauben berührt wäre.« Der Philosoph Peter Sloterdijk, der nicht dumme Leute belehren will, sondern zur kritischen Nachdenklichkeit einlädt, auch über die eigenen Ideen, schreibt Hellsichtiges über »Gottes Eifer«. Und Deutschlands bekanntester Atheist, der Philosoph Herbert Schnädelbach, verfasst einen ergreifenden Essay zum Thema »Der fromme Atheist«, in dem er bekennt, er könne die Matthäuspassion von Bach, vor allem den Text, nicht mehr hören, ohne dass ihm die Tränen kämen und er rausgehen müsse. Aber er könne nun mal nicht glauben.
    Derselbe Herbert Schnädelbach, der ein persönlich sehr eindrucksvoller Mensch ist, hatte freilich im Jahre 2000 in der Wochenzeitung »Die Zeit« einen aufsehenerregenden Artikel geschrieben mit dem provozierenden Titel »Der Fluch des Christentums«, der mit dem scharfen Satz endete, das Beste, was das Christentum für die Menschheit tun könne, wäre: sich auflösen!
    Dieser Artikel, der aus verständlicher Wut über allzu platte Glorifizierungen des Christentums entstanden war, legte das entscheidende Problem vieler Intellektueller mit dem Christentum offen. Die Fälschung der Geschichte von Christentum und Kirche ist es, die es manchem redlichen gescheiten Menschen unmöglich macht, sich bei der Frage nach dem Sinn des Lebens ernsthaft mit dem Christentum zu befassen. Und so begegnet man nicht so sehr kämpferischen, sondern eher traurigen Atheisten oder Agnostikern, die wohl gerne glauben würden, für die aber das, was sie für das Christentum halten, keine Option ist. Doch die von vielen eigentlich gebildeten Menschen geteilten historischen Behauptungen Schnädelbachs, dessen philosophische Texte stets tadellos sind, waren zum Teil eklatant falsch. Dass sich erst nach diesem Aufsatz der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt daranmachte, in dem schon erwähnten Werk »Toleranz und Gewalt – Das Christentum zwischen Bibel und Schwert« all die historischen Fehler gründlich zu widerlegen, weil es bisher nichts Vergleichbares gab, zeigt, dass zumindest an der Aufrechterhaltung des monströsen öffentlichen Christentumklischees, das sogar Leute wie Schnädelbach kritiklos übernahmen, die Christen selbst nicht ganz unschuldig sind. Jahrzehntelang haben gewisse beifallheischende christliche Theologen keine Gelegenheit ausgelassen, sich mit Klischeebestätigungen durch schiefe oder falsche Behauptungen auf Kosten ihrer eigenen Vorfahren zu profilieren. Doch die eitle rhetorische Figur: Zweitausend Jahre lang ist das Christentum in die Irre gegangen – bis endlich ich kam, wird im Ernst niemanden überzeugen, aber das Ressentiment verstärken.
     
    Wer diese Gesellschaft aufklären will, aufklären über die eigenen religiösen Wurzeln, muss all die abschreckenden Pappkameraden zur Seite räumen, die zum Teil seit Jahrhunderten zur Fälschung der Christentumsgeschichte aufgebaut worden sind, und so nüchtern wie möglich beschreiben, was war und was ist. Dann können den Menschen wieder die Kräfte zufließen, die sie aus der Geschichte erreichen. Tatsächlich war da nicht alles gut. Natürlich gab es sie, die verlogenen Tartüffs, die leichtlebigen Casanovas, die geldgierigen Tetzels. Aber das Christentum hat auch das Mitleid mit den Schwachen erfunden, die Heiden setzten behinderte Kinder im Gebirge aus. Und Peter Sloterdijk fügt hinzu, dass die Menschenrechte, »das moralische Kernstück der Aufklärung«, nur als »Säkularisat der christlichen Anthropologie« zu verstehen seien. Wer freilich bloß das Reine in der Geschichte
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