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Bloss kein Kind

Bloss kein Kind

Titel: Bloss kein Kind
Autoren: Cornelia Lotter
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habe.
     
    Ich habe mich nie nur über Kinder definiert, und doch ist die Tatsache, dass die Möglichkeit einer Mutterschaft nun nicht mehr gegeben ist, schmerzhaft in mehrfacher Hinsicht.
     
    Im persönlichen Bereich wird mir in den letzten Jahren auch sehr bewusst, dass ich das Altern meiner Mutter - und vor seinem Tod auch das meines Vaters - viel schlechter annehmen kann, weil ich das Gefühl hab, auf der anderen Seite geht das Leben nicht weiter, weil ich kein Leben weitergebe.
     
    Wenn ich selber Kinder hätte und dadurch auf der einen Seite das Wachsen sehen würde, dann fiele es mir leichter, auf der anderen Seite loszulassen. Dieses Ungleichgewicht spüre ich auch bei meiner Arbeit in der Geriatrie. Dieses: ins Leben bringen und aus dem hiesigen Leben entlassen, diese zwei Pole sind einfach in starkem Ungleichgewicht. Außerdem hätte ich speziell meinen Eltern natürlich gern ein paar mehr Enkel beschert.
     
    Ich werde nie Mutter, erlebe nie diesen “natürlichen Ausnahmezustand” einer Schwangerschaft und dieses einzigartige Erlebnis einer Geburt. Ich werde nie Großmutter. Für mich ist mal später kein Kind da. Ich weiß nicht, wer dann da ist, wenn ich mal alt bin.
     
    Fast alle meine Freundinnen haben Kinder. Und da geht es mir manchmal so, in familiären Situationen - und das trifft mich dann völlig aus heiterem Himmel - das ist wie so ein Flash, da werde ich sehr traurig, da bin ich sehr berührt von dem, was ich erlebe.
     
    Wenn sich die Mütter von jüngeren Kindern unterhalten haben, bin ich mir auch oft fehl am Platze vorgekommen, weil ich ja überhaupt nicht mitreden konnte. Da kam dann so ein wertlos-Gefühl zustande. Obwohl mir meine Freundinnen das nie so vermittelt haben. Durch die unterschiedlichen Alltagsanforderungen ist auch die gemeinsame Freizeitgestaltung erschwert, ich bin mehr allein als früher.
     
    Zur Geburt ihrer Kinder habe ich ihnen teilweise Gedichte geschrieben. Das hat mir zwar auf einer Seite weh getan, war aber trotzdem ein wichtiger Prozess für mich. Bei meiner einen Freundin habe ich die Geburt zu Hause miterleben dürfen, hab das Kind mit auf die Welt gebracht. Und mir war damals schon bewusst: vielleicht erleb ich’s nie selber.
     
    Mein sozialer Beruf kommt sicher auch nicht so von ungefähr. Ich habe dort meine “Kinder”, ich empfinde eine große Fürsorge; auch für den Freundes- und Familienkreis versuche ich auf meine Art, da zu sein.
     
    Gesellschaftlich fühle ich mich oft diskriminiert. Was da durch die Medien geistert…
     
    Dabei geht es überhaupt nicht darum, dass ich keine Sonderbeiträge in die Pflegekasse zahlen will o.Ä.; also ich unterstütze gerne Eltern, wenn ich es kann; aber die Art, wie das oft vermittelt wird, dass Kinderlose als karrieresüchtig oder Schmarotzer dargestellt werden, das finde ich absolut unfair und entwürdigend. Und selbst, wenn eine Karriere machen will, ich gesteh jedem Menschen seinen eigenen Lebensentwurf zu; und außerdem weiß ich, dass es genug Frauen gibt - und zu denen zähle ich mich in dem Fall - die es gern anders hätten; das ist wie eine doppelte Bestrafung, denn: Kinder können sie nicht haben und dann kriegen sie da noch eins auf den Deckel.
     
    Vor 10 Jahren war ich auf dem Arbeitsamt - ich kann eben auf Grund meiner Krankheit nur Teilzeit arbeiten - da wurde ich gefragt: ‘ja, warum nur Teilzeit, haben Sie Kinder?’ Da musst ich mich zuerst für meine Kinderlosigkeit sozusagen rechtfertigen und dann meine Teilzeit mit meiner Krankheit begründen, über die ich eigentlich nicht mit solchen Leuten sprechen will. Da hatte ich das Gefühl, ich bin ein Subjekt, das absurde Ansprüche stellt. Da fühlt man sich schon oft stigmatisiert.
     
    Wenn ich das Alles von der spirituellen Seite aus betrachte, überlege ich mir natürlich: wozu bin ich da? Welches ist meine Aufgabe im Leben? Dient das alles einem bestimmten Zweck? Was kann ich aus dem Geschenk des Lebens machen, wenn ich selber kein Leben weiter schenken kann?
     
    Ich bin dabei, Abschied zu nehmen von Lebensnormen und Lebensidealen. Aber ich stecke noch in den “Kinderschuhen der Kinderlosigkeit“; ich versuche, das Ganze für mich in eine erfüllende LebensART zu transformieren: für mich, für die Umwelt und das Leben als solches.
     
    Und vielleicht ist ja auch das Formulieren meiner Gedanken hier ein wesentlicher Schritt auf diesem Weg?
     

Charlotte, 39 Jahre, Krankenschwester, verheiratet
     
    „Ich hoffe, dass ich nicht bitter
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