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Bloss kein Kind

Bloss kein Kind

Titel: Bloss kein Kind
Autoren: Cornelia Lotter
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pflichtbewusst, verantwortungsvoll, sehr engagiert. Er hat sich immer für viele gute Dinge eingesetzt, hat das Unmögliche möglich gemacht, war aber dabei auch selber sehr verletzlich. Er war sehr humorvoll und liebenswert, aber auf seine Weise für uns auch sehr Respekt einflößend und keinen Widerspruch duldend. Er war oft nicht zu Hause, weil er viel geschäftlich unterwegs war, aber er war auch so als moralische Instanz immer präsent.
     
    Meine Mutter, die war immer greifbar, die war da, an die konnt ich mich immer wenden. Sie ist eine Frau, die sich sehr für die Familie aufgeopfert hat und oft sehr erschöpft und am Rande ihrer Kräfte war. Und sie ist im Gegensatz zu meinem Vater ein introvertierter Mensch. Beide sind stets mehr dem Leistungsprinzip gefolgt als dem Lustprinzip und haben uns das auch so vorgelebt. Das heißt: wir sind ziemlich tugendhaft und nicht gerade locker erzogen worden. Und sie haben uns in gut gemeinter Fürsorge, die fast schon Überfürsorge war, manchmal auch eingeengt.
     
    Bei uns zu Hause herrschte eine eher schwere Atmosphäre. Wie eine Dunstglocke, die über allem hing. Vor allem durch persönlich und kollektiv erfahrenes Leid, bedingt durch den Krieg. Aber auch durch spätere Krankheiten und Todesfälle in der Familie. Schon allein, weil sie diese etwas verhaltene Stimmung auflockerten, waren meine Schwestern sehr wichtig für mich.
     
    Ich hab immer die Großfamilie geliebt, das Leben um mich herum und wollte auch selber immer Kinder. Ich sehe mich als kleines Mädchen im Garten, wie ich auf einem Stück Papier Listen schreibe, in welchem Alter ich heiraten wollte, wann ich das erste, zweite, dritte oder vierte Kind haben wollte und so weiter. Das kam dann alles anders.
     
    Als ich 10 war, sind meine Schwestern alle innerhalb von wenigen Monaten ausgezogen. Zum Studium, ins Internat, doch ich hab dieses Einzelkinddasein nur sehr kurz genossen. Weil ich mich schon sehr bald nach dieser Lebendigkeit und auch nach meinen Geschwistern gesehnt habe.
     
    Mit auch deswegen haben mich meine Eltern dann auf eine Tagesheimschule wechseln lassen, wo ich den ganzen Tag unter Gleichaltrigen sein sollte. Das war aber ein “Schuss nach hinten“, weil ich mich dort von Anfang an sehr unwohl und einsam gefühlt habe. Mit 11 habe ich dann eine Zwangsstörung entwickelt. Nachdem ich einige Monate vorher schon einmal einen Waschzwang hatte, der sich dann wieder verflüchtigte, bekam ich, als ich auf diese Schule wechselte, Schwierigkeiten durch Kontrollzwänge. Die wirkten sich vor allem auf alles Schulische aus, so dass ich mir oft nicht sicher war, ob ich die Hausaufgaben gemacht hatte, ob ich alles eingepackt hatte, alles unzählige Male kontrollieren musste; beim Lesen habe ich die Texte 10 Mal gelesen, weil ich dachte, ich muss es auswendig können und das war extrem zeitaufwendig und nervenaufreibend. Dadurch hatte ich nicht - wie durch den Schulwechsel beabsichtigt - mehr, sondern weniger Kontakte, weil ich mich immer weiter isoliert habe. Eigentlich war ich mir schon damals der Absurdität meines Tuns bewusst und hab mich allein dadurch schon als Außenseiter gefühlt.
     
    Nach 2 Monaten kam ich dann als Schulverweigerer in die Kinderpsychiatrie, weil ich das alles nicht mehr kompensieren konnte. Eines Morgens habe ich zu meinen Eltern gesagt: ‘Ich weiß, dass ihr dafür ins Gefängnis kommt’ - weil ich diese Vorstellung hatte - ‘aber ich kann nicht mehr.’ Ich habe nur noch Berge gesehen und wusste, ich schaff das nicht. Auf Anraten der Ärzte in dieser Psychiatrie bin ich dann wieder in meine alte Schule zurück gewechselt, konnte aber nicht mehr in meine Klasse, sondern musste eine Klasse darunter besuchen.
     
    Meine Zwänge waren jetzt zwar in keiner Weise weg, aber ich hatte ein wenig Kraft und Werkzeug gekriegt und ich konnte damit umgehen, auch wenn Schule für mich immer extrem anstrengend war. Dabei hatte ich aber einen wahnsinnigen Ehrgeiz und wollte die Schule gut abschließen.
     
    Mit 16 wurde ich dann noch zusätzlich magersüchtig. Ab da war das Thema ‘Partnerschaft’ sowieso in weiter Ferne, rein körperlich gesehen - die Periode fällt aus, ich war klapperdürr und so weiter. In meiner Sehnsucht war der Wunsch in Form von Tagträumen aber sehr wohl noch vorhanden. Obwohl die Magersucht sicher auch unbewusste Ängste vor Sexualität und Erwachsenwerden ausgedrückt hat.
     
    Weil wir dachten, dass es gut für mich wäre, aus dem elterlichen Haus raus
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