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Bloss kein Kind

Bloss kein Kind

Titel: Bloss kein Kind
Autoren: Cornelia Lotter
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verstehen.
     
    Diese Kindheit hat mein Frauenbild und mein Mutterbild geprägt. Ich habe das eher als abstoßend empfunden. Auch als sehr beschränkend. Meine Meinung hat sich dann über die Literatur zunehmend verfestigt. Mit 16 Jahren war ich mit der Mittleren Reife fertig und ich wollte weg aus diesem Haus. Mein Vater hat zu mir gesagt: es lohnt sich nicht, für dich eine Ausbildung zu bezahlen, du bist ja nur ein Mädchen, du heiratest ja doch. Das hat mich sehr gedemütigt. Ich wäre gern MTA oder Stewardess geworden, irgend eine Ausbildung, die mir Flucht aus diesem Haushalt und Unabhängigkeit von den Eltern ermöglicht hätte. Weil ich zu jung war für eine Berufsausbildung, musste ich ein Soziales Jahr machen. Da kam ich dann in ein Stuttgarter Krankenhaus. Dort stand ich unter der Obhut von Diakonissen, wobei sich bei mir eine noch größere Gegenwehr gegen dieses traditionelle Frauenbild aufgebaut hat. Diese Frauen waren verlobt mit Christus und sehr untertänig gegenüber männlichen Ärzten. Ansonsten waren sie sehr streng und rigide. Das hat dazu geführt, dass ich sehr viel heimlich gemacht habe: durchs Fenster nächtens rein und raus und versucht, mich auszuleben. An freien Wochenenden wurde ich gezwungen, nach Hause zu fahren. Meine Abwehr gegen den Glauben, die Religion, die Kirche wurde dort immer größer.
     
    Mit Männern hatte ich damals noch nichts am Hut, weil ich eine sehr große Angst hatte schwanger zu werden. Viel wusste ich über Sexualität nicht, auch nicht über Verhütung. Beim Tanzen habe ich mich oft gefragt: warum haben die immer so einen Schlüsselbund in der Tasche? Nachdem mich meine ältere Schwester aufgeklärt hatte, so mit 14, 15 Jahren, habe ich mich gewundert: wie kann man so etwas Ekliges bloß tun?
     
    Nach diesem Sozialen Jahr kam ich nach T. zur Ausbildung zur Krankenschwester. Im Rahmen der Ausbildung habe ich dann einiges gelernt über die weibliche Sexualität. Und da habe ich mich dann erstmalig mit Männern eingelassen. Hatte aber monatlich immer Sorge, ob jetzt die Menstruation kommt. Verhütung mit Pille war damals noch nicht einfach möglich. Da ich noch nicht volljährig war, sollte ich dem Arzt eine elterliche Erlaubnis vorlegen. Also haben die Kolleginnen aus dem Oberkurs sich mit der Pille aus der Klinik versorgt. Mit 18 habe ich sie mir dann verschreiben lassen. Da die Pillen damals noch so hoch dosiert waren, musste man einmal im Jahr eine Pillenpause machen. Und so wurde ich dann mit 20 Jahren schwanger. Das war kurz vor dem Krankenschwesterexamen. Das war für mich natürlich eine Katastrophe. Eine Interruptio war nicht möglich, außer nach medizinischer Indikation. Die Frauenbewegung war aber in vollem Gange und auch ich war dabei, es war 1973 und da kursierten Adressen. So bin ich dann an eine Adresse von einem Arzt gekommen, der für 500 Mark die Abtreibung gemacht hat. Das geschah natürlich in aller Heimlichkeit. Man sollte nicht vor der Praxis, sondern Straßen weiter parken, die Arzthelferinnen durften nicht mehr in der Praxis sein. Der Arzt, ein alter Mann, zitterte leicht mit einer Hand (Parkinson?). Mein Freund sollte mich begleiten, um mich von dem gynäkologischen Stuhl zu tragen, was der gehbehinderte Gynäkologe nicht konnte. Danach habe ich Luftsprünge gemacht vor Erleichterung. Ich war so dankbar, dass es Ärzte gab, die Mitleid hatten mit Frauen in solcher “Not“.
     
    Als meine Freundinnen so nach und nach schwanger wurden, habe ich auch mal überlegt: will ich Kinder? Aber für mich war die wirtschaftliche Unabhängigkeit immer sehr wichtig. Für mich war klar: der Vater dazu muss stimmen. Er muss sich genauso um das Kind kümmern wie ich mich als Mutter. Da muss es eine Arbeitsteilung geben. Als ich meinen Freund fragte: möchtest du ein Kind?, kam keine Antwort, nur Schulterzucken, nie eindeutige Aussagen.
     
    Einerseits haben mir die süßen kleinen Babies gefallen, und ich bin auch gern mit Kindern umgegangen. Andererseits fand ich sie ab einem Alter von etwa 9 Jahren nicht mehr so niedlich, so witzig, so verspielt. Meine Freundinnen sagten in späteren Jahren: wenn die Kinder in die Pubertät kommen, das ist ein Grauen, das ist furchtbar, sei froh, dass du keine Kinder hast.
     
    Ich wollte die Welt sehen, mich ausleben, ich wollte nicht zu Hause bleiben und Kinder hüten. Ich dachte, da versäume ich viel und ich hatte auch den Eindruck, dass meine Freundinnen mit Kindern auf Einiges verzichten mussten. Sie hatten sich
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