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Bloss kein Kind

Bloss kein Kind

Titel: Bloss kein Kind
Autoren: Cornelia Lotter
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Jahren in einen neuen Haushalt gekommen und hatte eine Stiefmutter. Neben meiner älteren Schwester und meinem älteren Bruder hatte ich 3 Stiefschwestern. In diesem neuen Haushalt, der sehr pietistisch geprägt war, fühlte ich mich wirklich als Stiefkind, weil ich so behandelt wurde. Vor allem, als dann das erste Kind meiner Stiefmutter auf die Welt kam, war ich im Grunde abgeschrieben und ich habe damals schon das Mutterdasein als Falle erlebt. Ich empfand den Horizont der erwachsenen Frauen um mich herum, vor allem den meiner Stiefmutter als extrem eingeschränkt. Meine Stiefmutter konnte bei Unterhaltungen nicht mithalten, sie war regelrecht dumm. Ihr Augenmerk lag auf dem Haushalt und ich bekam auch die damals typische Mädchenerziehung: Kochen, Putzen, Backen, Waschen, Nähen. Alles, was eine gute Hausfrau ausmacht, sollte ich lernen. Damit ich irgendwann einmal eine “gute Partie” machen konnte.
     
    Es war so, dass die Kinder für die Eltern da waren, nicht umgekehrt. Es gab nur Gebote und Verbote. Es gab wenig Zuwendung. Mein Vater hat viel gearbeitet, er war Grafiker und hat auch versucht, in seiner Freizeit noch etwas dazuzuverdienen. Und so war ich dieser Stiefmutter ausgeliefert. Und deren Eltern. Diese waren sehr konservativ und außerdem noch geprägt vom Nationalsozialismus. Auch meine Stiefmutter war als BdM-Mädchen noch sehr beeinflusst von diesem Gedankengut. Es ging einfach darum zu gehorchen. Als meine jüngeren Geschwister zur Welt kamen, hieß es, wenn sie schrieen: die muss man schreien lassen und dem nicht gleich nachgehen. Man muss ihren Willen brechen. Dann gab’s da noch einen übermächtigen Gott. Einer, der alles sieht und straft und gleichzeitig ein liebender Gott war. Das bekam ich als Kind nicht auf die Reihe.
     
    Meine Stiefmutter hat sich in materieller Hinsicht gekümmert, aber Zärtlichkeiten und Ähnliches gab es nicht. Da habe ich mich dann auch zurückgezogen und wurde trotzig und verschlossen und später auch extrem schüchtern. Als ich 10 Jahre alt war, wurde mein damals 18-jähriger Bruder durch die Eltern und Großeltern zum Verbrecher gemacht, weil er mit einer 15-jährigen ein Kind gezeugt hatte. Ich war nicht aufgeklärt und wusste gar nicht, was er Schlimmes getan haben sollte. Er wurde aus dem Haus geschmissen. Doch das hatte er ohnehin gewollt. Er durfte zunächst nicht heiraten und sollte seine Freundin verlassen. Die war sowieso eine Hure aus Sicht meiner Eltern und der Leute. Ich wusste damals gar nicht, was eine “Hure” war. Später habe ich und meine Geschwister heraus bekommen, dass er anonym angezeigt worden war wegen Verführung Minderjähriger und dass es die eigenen Eltern waren, die dies getan hatten. Es war halt am Wichtigsten, was “die Leut” sagen und wie sie als Eltern dastehen. Zwei Jahre später wurde das Mädchen wieder schwanger und dann durften sie endlich heiraten. Das alles hat meinen Eindruck noch einmal verstärkt, dass die Mutterschaft eine Falle ist.
     
    Schon als 12-jährige hatte ich den Wunsch, die Welt zu sehen. Ich wollte nicht heiraten. Ich wollte nicht in Gefangenschaft leben. Die ganzen Mütter in unserer Straße waren für mich “beschränkt” in ihrem Horizont. Das hat mich regelrecht abgestoßen. Meine Schwester, die 10 Jahre älter ist, hat mir dann auch einiges über Gleichberechtigung beigebracht. Hat mir aufgezeigt: guck mal, die Unterschiede zwischen Mann und Frau, wieso kriegt der Vater extra was zu essen, wieso kriegt der eine Sonderbehandlung, warum darf die Mutter kein Zeugnis unterschreiben? Warum darf die keinen Scheck unterschreiben, warum darf die kein Konto eröffnen? Eine geschiedene Frau durfte das. Aber eine geschiedene Frau war eine Schlampe. Frauen waren einfach minderwertig, sie waren dem Mann untertan. So steht’s in der Bibel. Frauen sollten auch keine Männerkleidung tragen; ich durfte auch lange Zeit keine Hosen tragen.
     
    Mein Vater hat mich “verlassen“, als die jüngeren Stiefgeschwister zur Welt kamen. Er hat mir den Rücken zugekehrt, als ich 5 Jahre alt war. Bis dahin hat er mich schon beachtet, aber ich musste mich dieser neuen Mutter zuwenden und sollte mich nicht mehr an ihn hängen. Er hat mich dann nicht mehr auf seinen Schoß gelassen und ich sollte zu dieser für mich fremden Frau, die ich zudem nicht verstanden habe. Meine Ursprungsfamilie kam nach dem Krieg aus Dresden und ich konnte als 4-jährige den schwäbischen Dialekt in der neuen Familie und deren Umgebung nicht
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