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Blinde Flecken: Schwarz ermittelt

Blinde Flecken: Schwarz ermittelt

Titel: Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
Autoren: Peter Probst
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und ihr Hündchen
, so haben wir die beiden im Lehrerkollegium genannt.«
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Weißt du was über Lindas Aktivitäten außerhalb der Schule?«
    Monika schüttelte den Kopf.
    »Tanzen, Sport, nichts?«
    »Halt, warte. Ich habe mal ihr Handy konfisziert, weil sie es im Unterricht benutzt hat. Da waren ziemlich abstruse Fotos drauf. Jungs in Bundhosen und schwarzen Hemden, Mädchen in blauen Faltenröcken und weißen Blusen, das Haar ordentlich um den Kopf geflochten.«
    Schwarz schaute sie neugierig an. »Pfadfinder?«
    »Auf den ersten Blick sah es tatsächlich nur nach Lagerfeuer-Romantik aus, aber da waren diese Fahnen.«
    »Fahnen?«
    »Ja, schwarz-weiß-rote, mit so einem Kreuz drauf.«
    »Die Reichskriegsflagge?«
    »Könnte sein, ja.«
    »Hast du Linda darauf angesprochen?«
    Monika schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Ich konnte ja schlecht zugeben, dass ich mir ihre privaten Fotos angeguckt hatte. Aber in den Wochen darauf ist mir aufgefallen, dass sie manchmal Wörter wie
Deutschtum
oder
Rasse
verwendet hat. Ich habe den Geschichtslehrer gebeten, ein ernstes Wörtchen mit ihr zu reden, danach war das vorbei.«
    »Einsicht oder Tarnung?«
    »Schwer zu sagen bei einer wie Linda.«
    »War Tim in dieser Zeit schon mit ihr zusammen?«
    »Noch nicht, soweit ich weiß.«
    Schwarz bedankte sich bei seiner Frau, gab seiner Tochter alles, was er an Scheinen in der Geldbörse hatte, und hinterließ Justus den hinterhältigen Tipp, sich Monika gegenüber bloß nicht zu nachgiebig zu verhalten.

11.
    »Psychostunde.« Der Wärter schloss die Zelle auf und beobachtete, wie der Häftling Frisur und Hemdkragen sorgfältig im Spiegel kontrollierte. »Stehst du auf deinen Therapeuten?«
    Tim Burgers drohender Blick ließ sein Grinsen ersterben.
    »Mann, du hast doch überhaupt keinen Humor.«
    »Humor ist was für Schwächlinge.«
    »Wenn du meinst. Los, er wartet schon.«
    Im Sitzungszimmer reichte er von Medingen die Hand und verneigte sich. Er hatte die Zeit im Knast auch dafür genutzt, an seinem Auftreten zu feilen. Die Begrüßung legte die Hierarchie fest. Er hatte dem Psychologen sein neues Leben zu verdanken, deswegen die Verbeugung. Dem Anstaltsleiter, der keine Gelegenheit ausließ, ihn seine Macht spüren zu lassen, begegnete er ganz anders. Bei ihm legte er den Kopf zurück und blickte leicht von oben auf ihn herab. Er gönnte ihm keinen Triumph. Manchmal wünschte er sich, in deutschen Gefängnissen würde noch gefoltert, dann könnte er dem Direktor zeigen, wie unbeugsam er war.
    Von Medingen deutete schweigend auf einen Stuhl. Tim setzte sich. Auf dem Boden lag ein Buch.
    »Heben Sie es auf!«
    Er nahm das Buch.
    »Ich habe eine Seite markiert. Lesen Sie!«
    Durch das gekippte Fenster hörte man, dass es draußen in Strömen regnete.
    Tim fand die Stelle. »Was ist das?«
    »Lesen Sie!«
    Er holte tief Luft, räusperte sich. »Alles hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.«
    »Deutlicher.«
    »Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit, pflanzen hat seine Zeit.«
    »Versuchen Sie zu verstehen, was Sie lesen.«
    Tim schaute ihn an, nickte und fuhr fort. »Ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit, töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit, abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit.«
    Von Medingen nahm ihm das Buch aus der Hand und las selbst ein Stück. »Weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit, klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit.«
    Er gab ihm das Buch zurück. »Haben Sie den Unterschied gehört?«
    »Ja.«
    »Lesen Sie hier weiter.«
    Burger bemühte sich, mit fester Stimme und genauso bewusst zu lesen wie von Medingen. »Zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit, schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit, lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit, Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.«
    Der Psychologe lächelte. »In welcher Zeit leben wir wohl?«
    Burger sah ihn an, wollte antworten.
    Von Medingen winkte ab. »Was halten Sie von dem Text?«
    »Er ist   … poetisch.«
    »Was noch?«
    »Weise.«
    Der Psychologe nickte zufrieden. »Sie wissen, dass diesen Psalm ein Jude verfasst hat?«
    Tim nickte.
    »Sagen Sie es!«
    »Ich weiß es.«
    »Aber Sie finden den Text weise?«
    Tim schluckte. »Ja, irgendwie schon.«
    » Irgendwie
steht auf der Liste der verbotenen Wörter.«
    »Ja, ich finde ihn weise.«
    »Gut.
Das jüdische Volk hat viele große und weise Männer hervorgebracht.
Können
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