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Blinde Angst

Titel: Blinde Angst
Autoren: George D Shuman
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zu fragen.
    »Doch, schon«, räumte Metcalf ein.
    Sherry hatte immer schon eine gute Nase dafür gehabt, wenn sich jemand unwohl fühlte. Sie wusste, dass es eine extrem belastende Situation für Metcalf sein musste. Seine Schwester war irgendwo da draußen am Berg. Doch nun drängte sich ihr die Frage auf, warum er sie überhaupt zu diesem Unternehmen mitgenommen hatte. Es passte einfach nicht zu Männern seiner Art. Lag es vielleicht an Brighams Einfluss auf den Captain, dass er sich dazu entschlossen hatte, sie zu kontaktieren? Männer wie Metcalf schätzten es normalerweise nicht, in Krisenfällen Zivilisten an ihrer Seite zu haben. Sie verließen sich auf einschlägige Ausbildung und Erfahrung, und nicht auf übersinnliche Fähigkeiten. Der Mann musste das doch eigentlich als Vergeudung wertvoller Zeit betrachten – warum also tat er es dann? Geschah es aus Respekt vor seinem Vater oder vor dem Admiral? Hatte der Senator Brigham angerufen oder war es umgekehrt gewesen?
    Sherrys Fähigkeit, die letzten Gedanken der Toten sehen zu können, ging auf einen Vorfall in ihrer Kindheit zurück, bei dem sie völlig unerwartet mit den Gedanken eines toten Mädchens verbunden wurde. Eigentlich wollte sie dem Mädchen im Sarg nur eine Nelke in die Hand drücken -doch dabei strömten plötzlich Bilder von Dingen auf sie ein, von denen sie nichts wissen konnte und die sie sicher nie gesehen hatte. Es gab viele Skeptiker, doch niemand zweifelte mehr als Sherry selbst an dem, was sie gesehen hatte – und so vergingen viele Jahre, bis ihr klar wurde, dass tatsächlich die letzten Gedanken von Verstorbenen vor ihrem inneren Auge aufblitzten, die letzten Sekunden eines Lebens.
    Seit damals hatte Sherry vielfältige Erfahrungen mit toten Menschen gemacht. Die Medien sprachen von übersinnlichen oder übernatürlichen Fähigkeiten, doch im Bereich der Medizin wurde das Phänomen mit großem Interesse untersucht, und es gab weltweit immer mehr Neurochirurgen und andere Wissenschaftler, die Zusammenhänge sahen zwischen dem, was Sherry tat, und neuesten Forschungsergebnissen über die Funktionsweise des menschlichen Gedächtnisses.
    Und so freundete man sich immer mehr mit der Möglichkeit an, dass Sherrys Fähigkeit, das Kurzzeitgedächtnis von Verstorbenen anzuzapfen, wissenschaftlich nachvollziehbar sein könnte und nicht ins Reich des Übersinnlichen verbannt werden musste. Theoretisch machte es auch durchaus Sinn. Der Mensch verfügt über Millionen von Hautrezeptoren, die, sobald man etwas berührt, bestimmte Nervenzellen stimulieren. Die Nervenzellen senden Signale an das Gehirn, wo das Geschehen im Kurzzeitgedächtnis interpretiert wird. Die entsprechenden Verbindungen sind auch nach dem Tod noch vorhanden – warum sollte es also nicht möglich sein, mit dem richtigen elektrischen Stimulus dorthin vorzudringen? Schließlich ist das Gehirn im Prinzip nichts anderes als ein äußerst komplexer Computer.
    Metcalf weckte ihre Neugier, doch sie wollte ihn andererseits nicht vor den Kopf stoßen, deshalb beschloss sie, ihn nicht weiter mit Fragen zu bedrängen. Der Tag war zur Hälfte vorüber. Die Sonne über Alaska würde gegen Mitternacht untergehen. Sie würde das tun, wofür man sie geholt hatte, und dann würde sie sich in den Jet setzen und zurück nach Hause fliegen. In ein paar Stunden würde das alles wieder hinter ihr liegen.
    Sie hörte, wie Metcalf sich räusperte. Sein Kopf war ganz nahe, er beugte sich offenbar zu ihr herüber. Sie war überrascht, als er zu ihr sprach, und diesmal mit verändertem Tonfall.
    »Es tut mir leid, Ma'am«, sagte er. »Ich wollte nicht unhöflich sein.«
    Sie zögerte einen Augenblick. Sie wollte diese Sache irgendwie klären. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund wollte sie, dass dieser Mann ihr vertraute, dass er sie mochte, auch wenn er nicht an ihre Fähigkeiten glaubte. Sie konnte sich selbst nicht erklären, woran das lag. Sie beschäftigte sich normalerweise nicht mit den Zweifeln und Bedenken anderer Leute, aber Captain Metcalf war ihr aus irgendeinem Grund nicht egal. Es war ein wenig so, wie wenn man sich einem wilden Tier näherte, dachte sie. Es kam darauf an, vertrauenerweckende Worte zu sagen. Ein falsches Wort, ein falscher Ton, und es war vorbei. Aber sie wollte wirklich verstehen, wie Metcalf zu Brigham stand.
    »Wir sind uns einmal im Pentagon begegnet und ein paarmal im Haus meines Vaters in Boston. Ich kenne ihn eigentlich schon seit meiner Jugend. Und Sie? Kennen
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