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Blind

Blind

Titel: Blind
Autoren: Joe Hill
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Wooten nicht begegnen zu müssen, heimlich um sein eigenes Haus herumzuschleichen.
    Außerdem erschien es ihm unmöglich, dass Danny jedes Mal etwas auf dem Herzen hatte, womit er ihn belästigen konnte. Aber er hatte immer etwas. Und wenn er nichts hatte, was sofortige Erledigung erforderte, dann wollte er einfach reden. Danny stammte aus Südkalifornien, und wenn er erst einmal redete, gab es kein Halten mehr. Gegenüber vollkommen Fremden erging er sich in Lobpreisungen über die Vorteile von Weizengras, wozu unter anderem gehörte, dass es den Stuhl so wohlriechend machte wie einen frisch gemähten Rasen. Er war dreißig Jahre alt, konnte aber mit dem Jungen vom Pizzaservice über Skateboards und die neuestePlaystation reden, als wäre er vierzehn. Vertrauensselig erzählte Danny den Leuten, die die Klimaanlage reparierten, wie seine Schwester als Teenager an einer Überdosis gestorben war und wie er als junger Bursche nach dem Selbstmord seiner Mutter die Leiche gefunden hatte. Nichts brachte ihn in Verlegenheit. Die Bedeutung des Begriffs Hemmungen kannte er nicht.
    Jude hatte gerade Angus und Bon gefüttert, hatte Dannys Schussfeld bereits halb durchquert und glaubte schon, dass er das Büro unversehrt hinter sich lassen konnte, als Danny sagte: »He, Boss, schau dir das mal an.« Wenn Danny Judes Aufmerksamkeit einforderte, so fast immer mit exakt diesem Satz, einem Satz, den Jude fürchten und hassen gelernt hatte und der immer eine halbe Stunde verschwendeter Zeit einläutete, in der er Formulare ausfüllen oder Faxe durchlesen musste. Doch dann sagte Danny, dass jemand einen Geist verkaufe, und sofort vergaß Jude all seinen Groll. Er ging um den Schreibtisch herum und schaute über Dannys Schulter auf den Bildschirm.
    Danny hatte den Geist bei einer Online-Versteigerung entdeckt, nicht bei eBay, sondern bei einer der Nachahmer-Klitschen. Judes Blick huschte über die Beschreibung des Artikels, während Danny sie laut vorlas. Danny hätte ihm das Essen auf dem Teller klein geschnitten, wenn Jude es ihm erlaubt hätte. Er neigte zur Unterwürfigkeit, eine Eigenschaft, die Jude bei einem Mann – offen gesagt – widerlich fand.
    »›Geist meines Stiefvaters zu verkaufen‹«, las Danny. ›»Vor sechs Wochen verstarb überraschend mein betagter Stiefvater, der zu dieser Zeit in unserem Haus lebte. Er hatte kein eigenes Zuhause mehr, sondern reiste von einem Verwandten zum nächsten, blieb ein, zwei Monate und zog dann weiter. Sein Ableben hat uns alle tief getroffen, vor allem meine Tochter, die ihm sehr nahestand. Wir waren völlig unvorbereitet. Er war bis zuletztsehr aktiv, hat nie vor dem Fernseher gesessen, hat jeden Tag ein Glas Orangensaft getrunken und hatte noch alle seine Zähne.‹«
    »Da macht sich jemand einen Witz«, sagte Jude.
    »Glaube ich nicht«, sagte Danny und las weiter. »›Zwei Tage nach der Beerdigung hat meine kleine Tochter ihn im Gästezimmer gesehen, das genau gegenüber von ihrem Zimmer liegt. Danach wollte meine Tochter nicht mehr allein in ihrem Zimmer bleiben, sie wollte nicht mal mehr allein nach oben gehen. Ich habe ihr gesagt, dass Großvater ihr nie was antun würde, aber sie hat gesagt, dass seine Augen ihr Angst machten. Die wären ganz schwarz und sähen wie bekritzelt aus, so als könnte man damit nicht mehr sehen. Seitdem schläft sie bei mir im Zimmer.
    Erst habe ich gedacht, dass das nur eine Schauergeschichte ist, die sie sich einbildet. Aber an der Sache ist mehr dran. Im Gästezimmer ist es immer kalt. Ich habe ein bisschen rumgeschnüffelt, und da ist mir aufgefallen, dass es am kältesten im Wandschrank ist, wo sein Sonntagsanzug hängt. Er hat immer gewollt, dass er darin begraben wird, aber als wir ihm den Anzug in der Leichenhalle anprobiert haben, hat er nicht richtig gepasst. Man schrumpft ja ein bisschen ein, wenn man stirbt. Der Körper trocknet aus. Sein bester Anzug war ihm also zu groß geworden, und so haben wir uns von dem Bestattungsunternehmer beschwatzen lassen, einen von seinen zu kaufen. Ist mir ein Rätsel, warum ich mich darauf eingelassen habe.
    Letzte Nacht bin ich aufgewacht und habe gehört, wie über mir mein Stiefvater hin und her läuft. Das Bett im Gästezimmer ist immer ungemacht, zu jeder Tagesund Nachtzeit höre ich, wie die Tür aufgeht und wieder zuschlägt. Auch die Katze geht nicht mehr nach oben. Manchmal sitzt sie am unteren Ende der Treppe und starrt was an, was ich nicht sehen kann. Sie schaut eineZeit lang, dann jault
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